Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)

Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)

Titel: Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rina Bachmann
Vom Netzwerk:
in seiner Wirkung. Die Wunden heilen davon schneller, die Schwachen kommen gleich zu Kräften. Etliche Feinde hatten viel Respekt davor.“
    „Kommst du mit?“, fragte Ian. „Wie müssten Anna finden. So schnell wie möglich.“
    „Ich glaube, ich liege nicht falsch, wenn ich vorschlage, dass wir sie in der Unterwelt bei unserer Bekannten suchen.“
    Ian nickte.
    „Na dann los!“
     
    Manche Leute aus dem Tal, die in dieser klaren Nacht nichts Besseres zu tun hatten, als in den Himmel zu schauen, sahen, wie zwei riesige Vögel mit langen Hälsen und mächtigen Flügeln, der eine hell, der andere dunkel, nebeneinander gemächlich durch das sternenklare Blau flogen.
    Die Beobachter zuckten bloß die Achseln. So etwas gab es doch nur in alten Märchen und hatte in der nüchternen Realität der Menschenwelt für gewöhnlich keinen Bestand.

Kapitel 47. Die Kraft.
    Anna ließ einen erschöpften Blick über das Geschehen schweifen. Noch mehr Untote lagen auf dem Platz hier und dort verstreut. Die meisten Fässer waren mittlerweile leer und ragten einsam in den grauen, vom Hochnebel gezeichneten Himmel. Bei manchen lief noch eine dünne, violette Flüssigkeit in Rinnsalen heraus, suchte ihren Weg zwischen den Pflastersteinen und versickerte langsam im Boden. Nur noch eine kleine Gruppe torkelte zu einem oder dem anderen Hahn und ließ sich etwas vom Zeug aus dem letzten Fass abfüllen. Die Meisten schafften es nicht mehr, weiter zu trinken und kippten es auf ihre abgetretenen Kameraden. Herzhaftes Schnarchen dominierte die Geräuschkulisse.
    Der Schlamm stand Anna mittlerweile bis zum Hals. Sie redete sich ein, dass es sich doch ganz gut darin aushalten ließe, dass sie sich mittlerweile an die Würmer, die an ihrem Fleisch nagten, gewöhnt hätte, dass das alles nicht so schlimm wäre, sie dürfte dem Ganzen nur nicht allzu viel Bedeutung beimessen.
    Die Herrscherin der Unterwelt schien das Interesse an ihr verloren zu haben. Sie saß auf ihrem Thron und starrte nachdenklich auf den Platz. Das Bild schien sie anzuöden und sie wandte sich schließlich dem Stein zu, den sie Anna abgenommen hatte. Sie hob ihre offene Hand zu den Augen und beobachtete, wie er sich langsam verdunkelte. Als er gänzlich schwarz wurde, grinste sie zufrieden und schloss ihn fest in ihrer Hand.
    Der Schlamm stieg ein wenig weiter. Anna atmete tief durch und schloss die Augen. Ganz andere Bilder tauchten vor ihr auf. Sie sah den Vater in seiner Jurta. Er saß auf dem roten Schemel, genauso, wie er vor ihr gesessen hatte, und trank dämpfenden Tee aus der alten Piala. Dutzende von Fältchen spielten auf dem von der Sonne gegerbten Gesicht. Er blickte zu ihr auf und sah sie durchdringend an. Seine leise Stimme erklang in ihrem Kopf: „Du weißt noch, was ich dir gesagt habe. Es gibt eine Kraft, die in jeder Welt da ist. Sie kann wahre Wunder wirken. Deine Mutter hatte recht. Wie immer.“ Sein Bild verschwand so plötzlich, wie er aufgetaucht war. Die Worte hallten in ihrem Kopf nach. Eine Weile war alles schwarz und still.
    Anna spürte, dass der Schlamm ihr bis unter die Ohren stieg. Sie hob das Kinn, damit die blubbernde Brühe nicht so schnell an ihre Lippen herankam.
    Plötzlich tauchte das Bild von Alphira vor ihrem inneren Auge auf. Fröhlich, jung und schön, schwebte sie über eine grüne, mit bunten Blumen gesprenkelte Wiese und lächelte. Hinter ihr raschelte mit seinen unzähligen Blättern der Große Wald. Alles war voller Farben und Leben, wie damals, als das kleine Steppenmädchen die Oberwelt zum ersten Mal gesehen hatte.
    Anna wurde es plötzlich klar, dass die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft in diesem Augenblick vereint waren. Sie sprach einen Dank dafür, dass es alles in ihrem Leben gegeben hatte: die weite Steppe mit ihren betörenden Farben und einzigartigen Landschaften, die wunderschöne Oberwelt mit all ihrer Vielfalt an Pflanzen und wundersamen Wesen, die Großmagierin und ihre magischen Lehren und auch die jüngsten Erfahrungen in der Unterwelt. Alles, was die junge Frau früher als ungut und belastend empfand, ließ sie los. Es fiel wie ein altes Blatt von ihr ab und wurde vom Wind, der über die bunte Wiese wehte, weggetragen. Sie atmete erleichtert auf. Ein überwältigendes Gefühl der Erlösung und Freiheit breitete sich in ihrem Herzen aus.
    Dann überkam sie etwas, das sie noch nie empfunden hatte: etwas Neues, das ihrem tiefen Inneren entsprang, sie mit einer höheren, mächtigen Kraft füllte

Weitere Kostenlose Bücher