Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
Schritt in die Wirbelsäule gerammt wurde. Er spürte die anrollende Übelkeit. Um die Fassung nicht zu verlieren, fragte er sich Dinge, die ihm ins Auge sprangen, ihn aber nicht im Ernst interessierten. Vielleicht sind die Diamanten nicht echt? Vielleicht sind sie einfach eine billige Attrappe? Oder träume ich einfach schlecht? Vielleicht …
„Sie sind echt“, ertönte ihre gebieterische Stimme. „Ohne Ausnahmen.“
Er fuhr zusammen. Sie liest meine Gedanken!
„Ich kann deine Gedanken sehen und hören“, hallte ihre kühle Stimme wieder durch den Saal.
Sie stand vor einer hohen Wand schräg gegenüber von dem Thron und sezierte ihn mit ihrem forschen Blick. Ihr schmaler Mund verzog sich zum spöttischen Lächeln. „Aber deshalb bist du nicht hier. Deine Gedanken sind nicht von besonderer Bedeutung.“
„Warum bin ich hier überhaupt?“
„Die Kraft, die du in dir trägst, sie ist durchaus ein Grund.“
Ian zuckte zusammen. Schon wieder erzählte ihm eine unbekannte merkwürdige Erscheinung von einer Kraft, die er angeblich besaß. Das ist wie in einem Albtraum, der nicht enden will. Oder sie sind hier alle verrückt. Wo bin ich eigentlich gelandet?
„Das ist kein Albtraum. Nicht alle sind hier verrückt. Und ich kann dir genau sagen, wo du gelandet bist. Du bist in meinem Schloss, in deiner Welt. Es geht um dein wahres Leben, das du lange geleugnet hast.“
Er blickte sie verständnislos an.
„Du glaubst doch nicht im Ernst, dass deine miese Existenz, die du bisher geführt hast, dein wirkliches Leben gewesen ist!“ Ein tiefes Männerlachen spiegelte sich von den kahlen Wänden. Es vervielfältigte sich, schwang in die Höhe bis zu der Decke und hörte sich an, als ob mehrere Männer dabei waren, ihn auszulachen.
„Was haben Sie schon für eine Ahnung von meinem Leben.“
Die kleine Frau maß ihn mit einem vernichtenden Blick vom Kopf bis Fuß und sagte: „Was du bei diesen Unterbemittelten getan hast, interessiert mich nicht. Wie ein durchschnittliches Menschenleben aussieht und worauf es hinausläuft, weiß ich. So wahnsinnig spektakulär ist ich es nicht.“ Sie machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand, in der sie einen glitzernden zusammengelegten schwarzen Fächer hielt. „Dein wirkliches Leben aber interessiert mich dafür um so mehr.“ Ihr Blick bohrte sich in seine verwirrte Miene.
„Wer sind Sie?” Ian gab sich Mühe, Gelassenheit seiner Stimme zu verleihen, sein Blick hielt Ihrem stand. „Wieso meinen Sie, etwas über mich zu wissen? Was soll das alles hier?“
„Wer bin ich?“ Sie lachte auf. „Wie erfrischend! Diese Frage hat mir schon lange keiner mehr gestellt.“
Er sah sie immer noch fragend an. Diese Frau scheint wohl auch nicht alle Tassen im Schrank zu haben. Sie kommt mir aber irgendwie bekannt vor .
„Nenne mich Eure Majestät“, sagte sie, das Kinn nach vorn gereckt. „Das wird für die erste Zeit reichen.“
„Erste Zeit? Es soll also auch die Zweite kommen? Und wann ist es so weit?“
„Das hängt ganz und gar von dir ab“, verkündete sie. „Deine Zeit kann noch heute anfangen. Es kann aber auch dauern, bis du so weit bist. Du selbst darfst darüber entscheiden.“ Sie drehte sich um und richtete ihre Hand auf die Wand. Ein dünner, heller Strahl entsprang ihrem Zeigefinger und traf den glatten Granit. Sofort wurde er zu Glas. Dahinter erstreckte sich eine düstere, hügelige Landschaft. Von links nach rechts, bis zum Horizont hinaus, wo eine zackige Bergkette sich abzeichnete, war alles Grau und Schwarz: die Felsen und der Schotter, die riesigen geschnittenen Steinblöcke und der Sand.
Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, sah Ian eine sich ständig bewegende Masse, die auf den ersten Blick Ameisen ähnelte. Beim näheren Hinsehen erkannte er, dass es Menschen waren, die diverse Arbeiten verrichteten. Die einen, in zerlumpten Kleidern und dicken, eisernen Ketten an den Knöcheln, versetzten massive Steinmühlen in Bewegung. Die anderen, mit Lampen auf dem Kopf, schweren Hämmern und Schaufeln gewappnet, verschwanden in den Tiefen eines Felsen. In regelmäßigen Abständen rollten Wagen voller Schotter und Steine heraus.
Weiter hinten in der Ebene, in langen Kolonnen geordnet, marschierten affenartige Wesen ohne Kopf in Richtung der hohen Berge am Horizont.
Ian blickte zur anderen Seite. Dort arbeiteten Sklaven in einem Steinbruch. Völlig abgemagert, konnten sie kaum etwas dem harten Felsen abgewinnen. Sie wurden von einer
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