Anna und das Vermächtnis der Drachen (German Edition)
wieder in die Schatzkammer, dann vorsichtig aus den Augenwinkeln zu ihr.
„Alles ist echt. Ich kann dich dorthin versetzen, wenn du all das mit deinen eigenen Händen anfassen willst. Den Wunsch kann ich gut verstehen.“ Ein Hauch von Anerkennung schwang in ihrer Stimme. „Du musst aber aufpassen. Du kannst in dem Geld untergehen, denn die Münzenschicht ist mehrere Meter tief, und darin ersticken. Im wahren Sinne des Wortes.“
Der junge Mann schüttelte energisch den Kopf. „Nein, ich möchte das alles nicht anfassen. Es reicht auch so.“ Er sah der kleinen Frau direkt in die funkelnden Augen und fragte: „Warum zeigen Sie mir das alles?“
„Warum zeige ich dir das?“ Sie lächelte aufgesetzt. „Weil ich es will.“ Ihre schmalen, sonst blassen Lippen bekamen etwas Farbe.
„Und weiter?“, bohrte er nach. „Das ist doch bestimmt nicht der einzige Grund.“
„Ich sehe, du bist ein kluger Bursche. Das gefällt mir.“ Ihr Lächeln wurde breiter. Eine Reihe makelloser Zähnen blitzte kurz auf. „Weil du für mich auf der Spitze von all den Schätzen stehst. Du bist die Krönung.“
„Ich? Die Krönung?“ Ian stockte der Atem. Er blinzelte zehnmal hintereinander, als ob er eine Fliege aus dem Auge vertreiben wollte, sah die kleine Frau mit einer gehörigen Portion Entrüstung an, holte schließlich Luft und sagte: „Ich bin nicht aus Gold oder Platin. Ich habe keine Diamanten oder Rubinen anstelle von den Augen, oder sonst etwas in der Art. Ich bin ein ganz normaler Mensch.“
Die Herrscherin verzog ihren Mund, sah ihn abschätzig an und schwieg.
„Sie irren sich. Sie haben mich mit jemand anders verwechselt. Ich bin …“, er blickte suchend um sich, „ich arbeite im Lager“, fuhr er schließlich fort. „Ich wohne bei der Alten in ihrem kleinen alten Häuschen am Rand vom Wald, weil ich kein Geld für die eigene Wohnung habe. Ich verdiene ja nicht besonders, obwohl ich den ganzen Tag und manchmal auch nachts arbeite. Und neulich hat mich der Chef als einen Dieb dargestellt. Ich konnte zwar meine Unschuld beweisen und dass die Ware gar nicht aus dem …“
„Das genügt!“ Ihre Stimme schnitt seine Tirade ab. „Erspare mir die peinlichen Einzelheiten aus deiner wenig rühmlichen Vergangenheit. Das spielt absolut keine Rolle.“
„Ich will Ihnen bloß klarmachen, dass Sie mich womöglich mit jemandem verwechselt haben. Ich habe Ihnen etwas von meinem Leben erzählt“, erklärte er.
„Das nennst du doch nicht im Ernst Leben! Das ist auch keineswegs dein Leben! Um so weniger ist es dein eigentliches Leben! Das ist eine miese Existenz eines ordinären Menschenkindes, das keine Ahnung hat, wer er ist!“ Ihr Blick wurde auf einmal dunkler, eine gute Portion Verachtung lag darin. „Und ich bin der Meinung“, fuhr sie mit Nachdruck fort, „es wird langsam Zeit, das Geheimnis um deine Aufgabe zu lüften. „Es wird höchste Zeit, dass du erfährst, wer du eigentlich bist“, sprach sie mit Betonung auf jedem Wort. Sie tappte leicht auf das Glas und es verwandelte sich sofort in eine schwarze Wand aus poliertem Granit wieder. Dann eilte sie zu der gegenüberliegenden Seite. Wie durch ein riesiges Fenster ließ sich das mühsame Arbeiten dort beobachten.
Ian folgte ihr. Sein Blick fiel auf die schwarze Masse unten. „Und diese armen Seelen haben Ihre Reichtümer erarbeitet“, sagte er leise.
„Zum Teil“, gab die kleine Frau zu. „Ich musste auch meine Hand anlegen.“
„Warum machen sie das?“
Die Frau lachte wieder. Diesmal war es ein hohes Lachen, wie das eines Mädchens. „Du bist ja doch eine Ecke naiv, mein Lieber“, sagte sie, als sie sich wieder beruhigte. „Jede Menge Leute lassen sich versklaven. Und eine kluge Herrscherin schnappt die Gelegenheit beim Schopfe. Aber diese“, sie zeigte auf die Massen unten, „wenn du es wirklich so genau wissen willst, die haben sich mir sogar freiwillig hingegeben.“
Ian blickte auf die Sklaven, die mit verzerrten Gesichtern die schweren Steine der Mühle bewegten. Sie sahen so ausgemergelt aus, dass Ian fürchtete, sie würden die nächste Runde nicht mehr schaffen. Er schüttelte den Kopf. „Kann ich mir nicht vorstellen. Das glaube ich nicht.“
„Aber sicher doch! Es war ihre Entscheidung für mich zu arbeiten. Sie wünschten sich ein Einkommen, ein Dach über dem Kopf, aber hauptsächlich wollten sie sich sonst weiter um nichts kümmern. Und das Ganze so lange, wie es nur geht. All das habe ich ihnen gegeben. Und noch
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