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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Neblin
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bestand die Gefahr, einer Täuschung zu erliegen nicht minder: Wenn ich ihr kein Leid zufügen wollte, durfte ich mir nicht einreden, sie zu lieben. Ich musste fliehen, und zwar schnell!
    Meine Sonnenbrille verdeckte meine feuchten roten Augen, als ich jenseits der erlaubten Höchstgeschwindigkeit das Städtchen South Port und das Leben, das es mir bedeutet hatte, hinter mir ließ.

42.      Kapitel

 
 
    Gegen 22.00 Uhr saß ich an meinem Schreibtisch bei Westbury Hawthorne & Clarke. Um mich herum lagen verschiedene backsteinschwere Kommentarbände, in denen ich den ganzen Abend lang nach der Lösung für ein steuerrechtliches Problem gesucht hatte. Auf meinem Bildschirm zeigten verschiedene Rechercheprogramme unzählige geöffnete Seiten mit Gerichtsentscheidungen, Verlautbarungen der Steuerverwaltung und Beiträgen aus der fachwissenschaftlichen Literatur. Mein Schädel rauchte, die Zeilen begannen, vor meinen schmerzenden Augen zu verschwimmen. Meine Gedanken lösten sich immer wieder von der rechtlichen Materie und kehrten an einen Ort zurück, der nur eine Fahrtstunde von hier entfernt und doch unerreichbar weit weg lag.
    Es war Donnerstag. Ich hatte Montag, Dienstag und Mittwoch überstanden. Anders konnte man die Bewältigung der Woche nicht bezeichnen.
    Das Aufstehen am Morgen fiel mir schwer. Denn wofür lohnte es sich, aufzustehen? Die Träume in der Nacht waren weit verlockender. Träume, in denen ich mit Annabell am Strand spazieren ging, mit ihr auf der Terrasse unter dem Trompetenbaum saß, an den Kais im Hafen entlang schlenderte.
    Zum ersten Mal empfand ich mein Leben in Boston als öde und leer. Oder hatte ich es schon immer so empfunden, dieses Gefühl aber in Ermangelung eines Auswegs, einer Alternative, gekonnt durch Arbeit und die verschiedensten Amüsements überspielt?
    Nur manchmal war die grauenvolle Leere beim Aufwachen geradezu tröstlich. Dann nämlich, wenn mich in meinen Träumen Annabells schmerzverzehrtes Gesicht beschwor, bei ihr zu bleiben. Schlimmer noch waren die Träume, in denen ich entschlossen war, bei ihr zu bleiben, ich sie aber gegen meinen Willen verlor, sie mir aus irgendeinem Grund, an den ich mich nach dem Aufwachen nicht entsinnen konnte, entrissen wurde.
    Ich fühlte mich matt und ausgelaugt. Die vertraute Dosis Permadrin, die ich nun schon nach dem Aufstehen zu mir nahm, beseitigte dieses Gefühl nur minimal. Sie machte mich unruhig und nervös, aber nicht wach.
    Das morgendliche Training mit John war ein Lichtblick. Zum einen trainierte ich härter als sonst, um mich durch körperliche Verausgabung abzulenken und ein Höchstmaß an körpereigenen Glückshormonen zu produzieren, zum anderen kannte John South Port und Annabell und das eine oder andere Wort, das ich mit ihm darüber wechseln konnte, machte ihn zu einem unentbehrlichen Vertrauten. Die näheren Umstände meiner „Flucht“ behielt ich allerdings aus guten Gründen für mich.
    Den späten Montagabend hatte ich im Fitnessraum verbracht, hatte mich bis an meine Grenzen getrieben. Zwar lag ich nach dem Workout völlig erschöpft im Bett, doch konnte ich nichtsdestotrotz nicht schlafen. Am Dienstag nahm ich nach dem Training ein Schlafmittel, was jedoch – möglicherweise aufgrund der zu hohen Dosis – dazu führte, dass der Mittwoch Morgen der schlimmste Morgen in dieser Woche war, ich ein Besprechung mit Leuten von Magnon absagen musste und große Mühe hatte, auch nur einen Fall zu bearbeiten.
    Für Mittwochabend nahm ich mir vor, mich auf andere Weise zu erschöpfen. Zwar verspürte ich kein sexuelles Verlangen. Doch sagte ich mir, ich müsse meine früheren Gewohnheiten wieder aufnehmen, wenn ich Annabell vergessen und in mein altes Leben zurückfinden wollte. Ich hatte allerdings nicht die Geduld, mich in den üblichen Clubs und Bars mit der Suche nach einer geeigneten Partnerin für dieses Unterfangen aufzuhalten. Außerdem brauchte ich ein besonderes Stimulans. Die gewöhnliche Droge würde im Augenblick keine Wirkung zeigen.
    Von Steve, der in solchen Dingen Erfahrung hatte und dem ich einen exzellenten Geschmack zutraute, besorgte ich mir die Nummer eines Escortservice, dessen Dienste nur unter der Hand zu haben waren. Ich ließ mir für ein Honorar von 2.300 Dollar zwei überaus liebreizende und – das war mir ein besonderes Anliegen – behauptetermaßen medizinisch kontrollierte Mädchen in mein Appartement kommen. Beide hatten in etwa Annabells Körperbau. Die eine war blond,

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