Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
war.
Heppleton war der Partner von Dr. Ramsey, der einmal dessen Praxis übernehmen sollte und sich vollkommen mit seiner Rolle als „Gott in weiß“ zu identifizieren schien.
„Wo haben wir denn die Patientin?“, erkundigte er sich mit einem Hauch von Desinteresse, das wohl so etwas wie ärztliche Erhabenheit angesichts der Krankheiten dieser Welt ausdrücken sollte.
„Meine Schwester ist oben. Sie leidet an Schüttelfrost, Fieber, Husten, eitrigem Auswurf und das Atmen fällt ihr schwer. Ich habe im Internet recherchiert und befürchte, es könnte eine Lungenentzündung sein. Sie sollten die Pfeife daher vielleicht besser …“
„Na, na, mein Bester, wir wollen hier doch keine voreiligen Schlüsse ziehen. Die Medizin ist eine ernste Angelegenheit und keine Pauschalreise oder ein Videospiel, das man im Internet auftuen kann. Nein, nein. Ganz im Gegenteil. Wir sollten sowohl die Medizin als auch Ihre Schwester lieber einem Experten überlassen“, stellte er pompös fest und nahm widerwillig die Pfeife aus dem Mund.
„Wenn Sie mir bitte folgen wollen“, antwortete ich beherrscht und stieg vor ihm die Treppe hinauf. Schon nach dem kurzen Weg nach oben atmete er ähnlich schwer wie Annabell und ich fragte mich, wie er ihr helfen wollte, wenn er schon bei seiner eigenen Gesundheit derart versagte.
Als er Annabell zu Gesicht bekam, huschte ein Ausdruck von Bewunderung über sein Gesicht. Vielleicht war es auch pure Lüsternheit, denn er schien Anstoß daran zu nehmen, dass ich nicht den Anstand hatte, dass Zimmer zu verlassen, als er meine jugendliche Schwester aufforderte, sich oben herum zu entblößen, damit er sie „in Ruhe“ abhören könne. Ich nahm seine Missbilligung gelassen hin und beharrte darauf zu bleiben, da ich sichergehen wollte, dass dieser Geck nicht zu intensiv und genussvoll mit seinen fleischigen Fingern in mein Territorium vorstieß.
Ungeachtet meiner Gegenwart nahm er sich Zeit, Annabell ausgiebig abzuhören und abzutasten. Dabei ließ er an sich selbst gerichtet Feststellungen wie „rasselnder Atem“, „Fieber“, „Husten“ und dergleichen in einem Tonfall verlauten, als habe er den Stein der Weisen gefunden. Abschließend nahm er eine Blutprobe, wobei allerdings seine Hand so stark zitterte, dass ich Angst hatte, er würde Annabell unnötig verletzen.
Als ich ihn nach der Untersuchung aus dem Zimmer hinauskomplimentierte, um Annabell die nötige Ruhe zu gönnen, säuselte er ihr wehmütig ein „Gute Besserung, mein Kind. Ich werde bald wieder nach Dir sehen“ hin und stieg vor mir die Treppe hinunter, was mich dazu veranlasste, mich für einen allzu kurzen Augenblick mit der Frage zu amüsieren, in welche Richtung wohl ein von mir herbei geführter Treppensturz seinen Specknacken brechen würde. Doch auch hier blieb ich ein standhafter Hüter der Errungenschaften der menschlichen Zivilisation, widerstand der Versuchung roher Gewalt und ließ mich sogar dazu herab, dieser Made auf ihren Wunsch hin einen Kaffee zuzubereiten. Heppleton setzte sich an den Küchentisch und fachte, des Kelches, der noch einmal an ihm vorübergegangen war, nicht gewahr, wiederum seine Pfeife an. Nach einem tiefen Zug fällte er sein Urteil.
„Ich habe die Symptome Ihrer Schwester nun studiert“, sein Blick verklärte sich in der Erinnerung an die Untersuchung, „und ich tendiere zu der Auffassung, dass es sich um eine Pneumonie handeln könnte“, stellte er selbstzufrieden fest. „Eine harmlose Maladie - in meinen Augen - bei der nichtsdestoweniger Komplikationen nie ganz ausgeschlossen werden können. Letztendliche Gewissheit über die exakten Hintergründe des Zustands Ihrer Schwester wird selbstredend erst ein Röntgenbild der Lunge, eine eingehende Analyse sanguinis und weitere … Beobachtung … ergeben.“ Er rührte in seinem Kaffee und fuhr sich gedankenverloren mit der Zunge über die Lippen. „Ich verschreibe zunächst ein Breitbandantibiotikum und empfehle Bettruhe. Am Montag sollten wir sehen, wie sich der Zustand entwickelt.“
Er blies mir eine Rauchwolke ins Gesicht und ich beschloss, Annabell lieber dem senilen Dr. Ramsey zu überlassen, als sie noch einmal in die schmierigen Hände dieses aufgeblasenen Scharlatans zu geben.
„Ach und wo wir zwei beide gerade einmal so gemütlich beisammensitzen“, Heppleton beugte sich zu mir herüber und senkte verschwörerisch die Stimme, „ich kam nicht umhin, einem Gerücht mein Ohr zu schenken, das in der Stadt
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