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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Neblin
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verdeutlichen“, sagte ich und gab ihr einen Kuss. Dann fuhr ich fort:
    „Die unsterbliche Person des Menschen oder Seele muss also etwas sein, was im Leben irgendwie an diesem gut aussehenden Körper klebt, etwas, das durch die körperlichen Eindrücke, die Erfahrungen, die wir im Leben machen, geprägt wird – sonst wäre der Körper ja auch überflüssig. Aber sie muss etwas anderes sein, als der gegenwärtige psychische Zustand, der sich fortlaufend als Teil des Körpers verändert. Mehr irgendwie – sozusagen ein Schwamm oder ein Datenträger, die Summe eines Lebens.“
    „Und was ist, wenn ein kleines Kind stirbt, das noch wenige Erfahrungen gemacht hat, oder ein Kind vor der Geburt stirbt?“
    „Du stellst Fragen. Bin ich Jesus?“
    „Darüber macht man keine Witze.“
    „Na, ich weiß es auch nicht. Vielleicht wird ein großer Teil der Persönlichkeit schon im Mutterleib geprägt, vielleicht erlebt das Kind, wie es das Leben seiner Eltern schon vor der Geburt verändert oder dass sie es vermissen. Vielleicht gibt es Seelenwanderungen mit Wiedergeburten. Keine Ahnung. Was ist denn, wenn ein Tier stirbt oder ein Baum? Die haben doch wohl nicht so ein Bewusstsein wie wir und doch existieren sie. Also kann ja wohl nicht nur ein Nobelpreisträger ein sinnvolles Lebewesen mit einem lebenswerten Leben sein.“
    „Aber haben Tiere und Pflanzen eine unsterbliche Seele? Meinst Du sie sind auch im weitesten Sinne Personen und sie wissen es im irdischen Leben nicht oder wir wissen es nicht von ihnen?“
    „Musst Du das denn so genau wissen? Du glaubst doch an Gott. Du glaubst, dass er dieses riesige Universum gemacht hat und dass er Dich gemacht hat – sein Meisterwerk, wenn Du mich fragst. Wenn er so tolle Sachen hinbekommen hat, hat er dem Ganzen vielleicht auch irgendeinen Sinn gegeben. Und vielleicht hat er ja auch mit der unsterblichen Person einen Schritt weiter gedacht, als ich. Er hatte ja nun auch ein paar Milliarden Jahre länger Zeit als ich.“ McCandle hätte mir hier vermutlich erklärt, dass Gott außerhalb der Zeit existiert, aber schließlich improvisierte ich damals.
    „Aber wenn die Seele mit dem Körper verbunden ist, wie Du sagst, warum findet man sie bei keiner Untersuchung? Sie müsste doch am ehesten im Gehirn zu messen sein.“
    Der Einwand kam mir erstaunlich albern vor. Sollte Annabell in diesen Fragen nicht eigentlich besser Bescheid wissen als ich? Sie war doch die fleißige Kirchgängerin. Ich kramte in den tiefsten Schubladen meiner Erinnerung. Heraus kamen die verstaubten Überreste des Credo: ‚factorem coeli et terrae, visibilium omnium et invisibilium’ – Schöpfer des Himmels und der Erde, alles Sichtbaren und Unsichtbaren. Das Unsichtbare war das Geistige, Immaterielle, etwas, das man eben nicht sehen und nicht anfassen konnte.
    „Ich glaube, der Reverend würde hier von der Seele als einer spirituellen oder immateriellen Substanz sprechen. Etwas, was nicht Teil der Materie ist, aus der der Körper, die Nervenbahnen, Zellen und selbst die aus kleinsten Teilchen zusammengesetzten elektrischen Impulse im Gehirn bestehen. Wenn so eine geistige Substanz Teil des lebenden Menschen ist und den Körper umschließt und durchdringt, könnte sie auf der einen Seite alles aufnehmen, was der Körper wahrnimmt, erlebt und erfährt, und auf der anderen Seite auf den Körper einwirken, damit er überhaupt funktioniert und lebendig ist und nicht so tot ist, wie ein Stein, und damit im Gehirn ein elektrischer Impuls überhaupt erst erzeugt und verarbeitet wird. Aber eigentlich bin ich für solche Fragen nicht der beste Gesprächspartner. Frag doch mal den Reverend, was er dazu meint. Der denkt, glaube ich, andauernd über so ein Zeug nach.“
    In Wahrheit war ich ziemlich stolz auf mein Erklärungsmodell. Besonders auf den Einfall von der geistigen Substanz – das war ein echter Hammer. Kein Arzt, kein Hirnforscher würde mich hier widerlegen können, da Immaterielles für gewöhnlich nicht messbar ist. Dafür, dass mir das alles ganz spontan eingefallen war, klang es ziemlich plausibel. Annabell schien das auch zu finden, denn sie wirkte von da an deutlich fröhlicher als zuvor.
    Gleichwohl war es nicht zu fassen, dass ich hier die Rolle des Reverends übernehmen musste. Ausgerechnet ich. Ob McCandle sie auch nur spielte? Aus der Notwendigkeit heraus, anderen Leuten Hoffnung zu geben? Vermutlich war das einer seiner Beweggründe. Vielleicht brauchte er auch selbst diese Hoffnung und

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