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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Neblin
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in meinem Mund und suchte die Eruption. Ohne die Konsequenzen in Betracht zu ziehen, spie ich in das Gesicht von Lawrence Cromwell Hawthorne III. – was für den Anführer der Biker-Gang angemessen gewesen war, war hier nicht weniger passend.
    „Damit ist alles gesagt“, waren meine Abschiedsworte und mit ihnen endete von einem Tag zum anderen meine einst verheißungsvoll glänzende Karriere bei Westbury Hawthorne & Clarke.

65.      Kapitel

 
 
    Nicht nur mein Traum von einer Partnerschaft bei Westbury Hawthorne & Clarke zerplatzte an diesem Tag. Weitaus schlimmer war, dass die versammelten Experten, die führenden Behandler des Staates Massachusetts, einen ganzen Tag damit zubrachten, sich mit Annabells Leiden auseinanderzusetzen, ohne eine Erklärung für den Zellverfall zu finden. Zwar deckten sie einige Zusammenhänge auf, die Dr. Mercer entgangen waren. Doch es schien so, als wollte die Ursache der Krankheit nicht gefunden werden. Am zweiten Tag war es nicht anders. Es blieb dabei, dass lebenswichtige Organe dabei waren, abzusterben und Bakterien in den Körper eingedrungen waren, die gegen herkömmliche Medikamente immun waren.
    Am dritten Tage brachten die Ärzte eine Einigung zustande, doch ihr Befund war nicht derjenige, den ich hören wollte:
    „Sie müssen sich und Ihre Schwester darauf vorbereiten, dass wir mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nichts ausrichten können“, gestand mir Professor Masters, das jüngste Mitglied der Gruppe.
    „Wie lange noch, Susan?“, fragte ich.
    Sie war kaum älter als ich, wurde jedoch als medizinisches Genie gehandelt. Ich hatte irgendwie einen Draht zu ihr.
    „Vermutlich nur noch wenige Tage.“
    „Gibt es gar nichts mehr, was man ausprobieren kann?“
    „Es gibt eine Möglichkeit, die wir erwägen. Die Keime sind resistent gegen alles, was auf dem Markt ist. Aber es gibt da zwei Wirkstoffe, die sich noch am Beginn der Testphase an menschlichen Probanden befinden. Wir halten die Mittel für aussichtsreich.“
    „Annabell würde also zur Laborratte.“
    „Es könnte ihr helfen“, sagte sie geduldig, „und darüber hinaus würde sie einen wertvollen Beitrag für den medizinischen Fortschritt leisten. Angesichts ihres Zustands kann man – es tut mir leid, es so drastisch zu formulieren - …“
    „Nicht mehr viel kaputt machen?“
    „Es tut mir leid, Ethan.“
    „Das glaube ich Dir und ich bin dankbar für jeden Vorschlag. Selbst wenn es nicht funktioniert – Annabell würde es begrüßen, wenn sie dazu beitragen könnte, anderen Patienten zu helfen.“
    „Du solltest Dich trotzdem auf das Schlimmste vorbereiten. Wenn wir die Keime zurückdrängen, heißt das nicht zwangsläufig, dass der Zellverfall endet.“
    Wir einigten uns, dennoch den Versuch zu wagen. Ich unterschrieb einen dicken Stapel von Formularen. Eine Einwilligungserklärung, eine Erklärung über die Entgegennahme von Information über das Verfahren, eine Erklärung zur Haftungsfreistellung.
    Noch heute finde ich keine Worte, die geeignet sind, auch nur ansatzweise zu beschreiben, wie ich mich an diesem Tag fühlte, als ich mich an Annabells Bett setzte, ihre Hand nahm und einen wachen Moment abwartete, um ihr die Todesbotschaft zu überbringen. Nur so viel kann ich andeuten:
    Ich hatte keine Hoffnung mehr. Ich würde Annabell verlieren, ich hatte meine Karriere verloren. Meine Zukunft lag in Trümmern. Schon bald würde ich zu entscheiden haben, ob ich selbst weiter leben wollte, wenn Annabell gegangen war. Wenn meine Entscheidung für das Weiterleben ausfallen würde, so nur um ihrem Beispiel gerecht zu werden.
    Annabell musste schon länger geahnt haben, wie es um sie stand, denn sie schien nicht überrascht zu sein. Sie weinte, während sie mit mir sprach. Wir beide weinten – weinen hilft, wenn auch nur bis zu einem gewissen Grad. Ich glaube, sie war damals bereits zu schwach und elend, um sich gedanklich und emotional gegen die Aussicht auf ein baldiges Ende zu wehren. Wenn der Körper nicht länger viel mehr als ein Wrack ist, erscheint der Tod geradezu verlockend. Ich weiß, wovon ich spreche. Und dennoch empfand ich Annabell als unglaublich tapfer und gefasst. Sie sah mir fest in die Augen und sie nahm mir das Versprechen ab, mich zwar gern an sie und unsere gemeinsame Zeit zu erinnern, aber über diese Erinnerungen nicht das Leben zu vergessen, das ich noch vor mir hatte. Ich solle dankbar sein, für die Zeit, die wir beide miteinander hatten verbringen dürfen, sagte

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