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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Neblin
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der er gleichermaßen auf die Juwelen wie seine jungen Assistentinnen wies - „was“, fuhr er fort, „mich zu der Frage bringt … welche unserer vorzüglichen Kunstwerke darf ich Ihnen heute zeigen?“
    „Es geht um eine Uhr.“
    „Eine Uhr?“
    Aldriges Augen begannen zu leuchten.
    „In der Tat. Wenn man vom Siegelring absieht … ein Gentleman kann wahrhaftig keinen größeren Schmuck am Leibe tragen.“
    „Das ist richtig. Nehmen wir nur meine Uhr hier, die ich vor zwei Jahren bei Ihnen erstanden habe.“
    „Ein schönes Stück. Sie haben schon damals einen hervorragenden Geschmack bewiesen, wenn Sie mir die Bemerkung ... Sie funktioniert einwandfrei, möchte man annehmen?“
    „Bestens. Kaum eine Abweichung von der Atomzeit.“
    „Und nun sind sie auf der Suche … Ein weiteres Stück für Ihre Sammlung? Ein verständlicher Wunsch. Ein Mann von Format … Man möchte doch über eine gewisse Auswahl ... Schließlich trägt man auch nicht jeden Tag dieselbe Krawatte oder denselben Anzug. Nein, ganz und gar nicht. Eine Armbanduhr ist immer … Es sind schlicht gute Investitionen, die sich … Wo sonst besteht Ihre Rendite in purer Lebensfreude?“
    „Damit wären wir exakt beim Thema.“
    „Lebensfreude?“
    „Nein, Kapitalanlage.“
    „Sie sagen es, Sir. Gestatten Sie mir die Frage, ob Sie ein bestimmtes Modell …? Einen Chronographen vielleicht? Oder eine Uhr mit ewigem Kalender? Eine Kombination? Oder ein Modell mit Tourbillion? Ich kann Ihnen ein paar außergewöhnliche Stücke … wahre Raritäten … limitierte Auflagen … Der Wiederverkaufswert … ungeahnte Höhen, sage ich Ihnen.“
    „Sie teilen also meine Einschätzung, dass Uhren sich zur Kapitalanlage eignen?“
    „Aber gewiss doch. Unbedingt, Mr. Meyers. Ein guter Wert ist nun einmal beständig. Und wahre Qualität ist hochwertig und wird es, davon bin überzeugt, auch bleiben – ich sehe Ihr Glas ist schon leer. So ein Malheur! Darf ich Ihnen …? – Charlotte! Noch ein Glas Champagner bitte für Mr. …“
    „Ich vertraue da ganz auf Ihre Erfahrung, Mr. Aldrige.“
    „Das können Sie, das können Sie wahrhaftig. In ganz Boston werden Sie niemanden finden, der länger und mit mehr … und das Segment, in dem wir tätig sind … kein anderes Geschäft in dieser Stadt … wenn Sie wissen, was ich meine? Wir haben da eine gewisse Verpflichtung … gegenüber unseren Kunden, ach was sage ich, Kunden? Langjährige Partner. Freunde!“
    „Nehmen wir meine Uhr zum Beispiel. Sie kennen den Preis, auf den wir uns seinerzeit geeinigt haben.“
    „Ein wirklich guter Preis, den wir Ihnen anbieten konnten, zweifelsohne.“
    „Nun, wenn ich die Uhr nun veräußern wollte?“
    „Sie würden überall einen ganz hervorragenden Preis erzielen, einen ganz hervorragenden.“
    Schnapp – die Falle war zu. Nun hatte ich ihn dort, wo ich ihn haben wollte. Bisher hatten wir locker geplaudert, nun lehnte ich mich zu ihm hinüber, sah ihm fest in die Augen und fragte ernst: „Was würden Sie mir anbieten, Mr. Aldrige?“
    Er zuckte zusammen, als habe jemand ein schweißiges Handtuch über ihm ausgewrungen oder den lockeren Bausch seines Einstecktuchs platt gedrückt.
    „Anbieten? Ich?“, fragte er konsterniert. „Ich fürchte, ich verstehe nicht recht.“
    „Ich möchte Ihnen meine hervorragende, werthaltige Uhr zum Kauf anbieten, Mr. Aldrige.“
    „Aber lieber Mr. Meyers. Eine Uhr wie die Ihre gibt man nicht in Zahlung, wenn man es nicht unbedingt ... Wir werden uns bei dem neuen Modell … Sie wissen ich mache Ihnen einen guten Preis – den besten.“
    „Sie verstehen mich richtig, Mr. Aldrige. Ich bin nicht hier, um eine Uhr zu kaufen. Ich bin hier, um meine Uhr zu verkaufen. Sagen wir einfach, ich liquidiere eine Investition. Das ist ein normaler Vorgang, nicht wahr?“
    Er sah mich mit einer Mischung aus Verständnislosigkeit und Bestürzung an.
    „Es tut mir leid. Ich fürchte, wir können im Moment keine Uhr … und sie ist nun ja auch schon getragen. Sie wissen, wir führen keine gebrauchten Uhren.“
    Es hatte keinen Zweck, um den heißen Brei herumzureden:
    „Mr. Aldrige, ich habe mich von meinem bisherigen Arbeitgeber getrennt. Schon bald werde ich eine neue, besser dotierte Position einnehmen und Sie können davon ausgehen, dass ich Sie aufsuchen, und eines Ihrer hervorragenden Modelle erwerben werde. Nur zurzeit würden Sie mir sehr entgegen kommen, wenn Sie meine Uhr ankaufen würden. Ich würde es Ihnen nicht

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