Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
Qualität ihrer Beziehung, wenn Staat und Kirche ihnen ihren offiziellen Segen geben oder ihn verweigern?“
Der Richter reagierte auf diese Ausführungen mit einem zornigen Grunzlaut. Viel gutes Zureden und ein Glas Gin Tonic waren nötig, seinen Widerstand für diesen Tag zu brechen. Ihn dauerhaft zu überwinden, brauchte, wie für viele Menschen in South Port, die uns als Bruder und Schwester kennengelernt hatten, eine längere Zeit.
„Ich frage mich, was aus meinem leiblichen Vater geworden ist“, fragte Annabell, als wir am Abend wieder allein waren, „Ob er noch lebt, wo er lebt, ob eine Familie mit anderen Kindern hat, so viele Dinge.“
„Wir können ja versuchen, das herauszufinden.“
„Ja, ich glaube, ich möchte ihn zumindest einmal kennenlernen.“
„Obwohl er Deine Mutter und Dich verlassen hat?“
„Ich frage mich, ob er es vielleicht inzwischen bereut?“
Dann setzte sie hinzu: „Deine Mutter würde ich auch gern einmal kennenlernen.“
„Ach Annabell, ich weiß nicht. Ich dachte, ich hätte Dir deutlich gemacht, dass wir keinen Kontakt mehr haben.“
„Vielleicht kommt ihr ja wieder in Kontakt? Wäre das nicht schön? Immerhin ist sie Deine Mutter. Denk doch noch einmal darüber nach, ja?“
„Das werde ich tun. Vielleicht hast Du ja recht . Aber nicht heute Nacht.“
„Nein“, erwiderte Annabell und lächelte verschmitzt, „nicht heute Nacht …“
Ich nahm ihre Hand und gemeinsam blickten wir hinauf zum weiten Firmament, in dessen klarem Dunkel Millionen und Abermillionen von Sternen funkelten, und wir dankten der unauslöschlichen Flamme, die unsere Herzen mit Liebe erhellt und diese Liebe gegen alle Widerstände hatte erstrahlen lassen.
Und so endet diese Geschichte von Annabell und Ethan – beinahe …
Epilog
Meine Geschichte ist Jedermanns Geschichte, aber es ist nicht einfach, sie zu einem Ende zu bringen, das jedermanns Zustimmung findet. Denn die einen sind von einem glücklichen Ende enttäuscht. Sie halten eine Geschichte mit glücklichem Ausgang leicht für kitschig und trivial. Vielleicht, weil sie meinen, das Leben sei nicht so und eine Geschichte müsse doch das Leben erfassen, wie es ist. Die anderen erwarten gerade deswegen ein gutes Ende, weil sie überzeugt sind, dass an der Dinge Ende tatsächlich das Gute steht. Vielleicht aber auch, weil sie zwischen diesen Positionen stehen und ein gutes Ende ihnen Hoffnung gibt.
Ich habe meine Geschichte erzählt, so gut ich konnte. Zu meiner Verteidigung muss ich vorbringen, dass ich nicht geübt im Geschichtenerzählen bin. Es ist die erste umfassende Geschichte, die ich erzähle, und so wie es aussieht, wird es auch die Einzige bleiben.
Was unterscheidet nun eine gute von einer schlechten Geschichte? Die Frage ist keineswegs einfach, aber für den Geschichtenerzähler doch von immenser Bedeutung. Sie beschäftigt seit vielen Jahrzehnten gelehrtere Köpfe als den meinen. An der Harvard Law wurde sie nicht behandelt. Am College lag mein Schwerpunkt ebenfalls nicht auf Literaturkritik. Daher können die nachfolgenden Gedanken nur ein amateurhafter Anriss sein, der keinerlei wissenschaftlichen Anspruch erhebt. In der Hoffnung, dass auch viele Amateure diese Geschichte lesen oder hören, erlaube ich mir, ihn hier aufzunehmen:
Zunächst ist festzulegen, in Bezug auf wen die Geschichte überhaupt bewertet wird. Eine Geschichte mag für den, der sie erzählt - nennen wir ihn hier in der Sprache von Kommunikationsmodellen ‚Sender‘ -, beispielsweise gut sein, wenn er sich etwas von der Seele reden kann oder wenn er andere damit unterhalten kann. Sie mag für einen Verlag gut sein, wenn sie sich wirtschaftlich erfolgreich verlegen lässt. Mich interessiert hier der Leser oder Hörer – kurz: der Empfänger.
Schon wird es indes wieder schwierig. Man könnte sagen, eine Geschichte sei in Bezug auf den Empfänger dann gut, wenn sie sich auf sein Leben gut auswirkt. Doch wer soll Richter über die gute Auswirkung sein? Der Empfänger oder eine andere Person ist hier denkbar. Wenn wir den Empfänger betrachten, müssen wir uns fragen, ob er die Auswirkung richtig oder überhaupt einschätzen kann. Eine Geschichte ist dann gut, wollen wir hier daher sagen, wenn der Empfänger sie für gut befindet und er sich in seinem Urteil nicht irrt.
Warum ist es sinnvoll, die Anforderungen des einzelnen Empfängers zu betrachten? Der persönliche Erfahrungsschatz, Vorlieben, persönliche Einstellungen und Werthaltungen
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