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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Neblin
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leider nicht. Wir vergeben keine Termine. Wer zuerst kommt ... Sie wissen schon.”
    Also gut. Was sollte es. So viele Leute würden schon nicht da sein.
    „In Ordnung Ms. Sunley. Auf Wiederhören.“ Ich donnerte den Hörer auf …
    … um ihn gleich wieder aufzunehmen.
    „Harriet, streichen Sie alle Termine für morgen und vereinbaren Sie neue. Margery soll bei Mr. Hawthornes Büro Bescheid geben, das ich morgen außer Haus bin.“
    Hervorragend. Kaum war ich Hawthorne direkt unterstellt und schon machte ich Urlaub. Ich würde versuchen ihn im Laufe des Tages zufällig zu treffen und die Sache zu erklären. Am Samstag wollte ich ohnehin ins Büro fahren. Der Tag würde dann eben noch länger dauern. Und zur Not gab es ja auch wieder den Sonntag.

12.      Kapitel

 
 
    Am Freitag verpasste ich Phil den Radiosprecher um eine viertel Stunde, denn ich stand erst um 6.45 Uhr auf. Das war zumindest ein kleiner Lichtblick an diesem Zwangsurlaubstag.
    Als ich Hawthorne die Situation geschildert hatte, hatte er mir lediglich kurz auf die Schulter geklopft und mich mit den Worten verabschiedet:
    „Ich vertraue darauf, dass Sie die Angelegenheit schnell erledigen, mein Junge. Zeigen Sie dem guten Mann, wie man die Dinge hier in Boston regelt.“
    Während ich nach dem Morgentraining unter der Dusche stand, fasste ich den Vorsatz, das Unausweichliche zu akzeptieren und den Tag soweit zu genießen, wie man einen Ausflug in die Einöde genießen konnte. Ich war definitiv ein Stadtmensch.
    Das war nicht immer so gewesen. Als Kind war ich glücklich auf dem Land.
    Aber was weiß man schon als Kind?
    Damals hatte ich mit meinen Eltern östlich von Beverly gewohnt. Das Haus war zwar nicht übermäßig groß gewesen, dafür aber gemütlich. Es hatte einen schönen kleinen Garten mit einer Schaukel und einem weißen Gartenzaun gehabt. Ich hatte meine Zeit oft mit meinen Eltern am Meer verbracht. Sie hatten sich damals noch geliebt. Spießeridylle.
    Dann folgten Jahre erbitterter Wortgefechte und bedrückender Wortlosigkeit. Schließlich zog mein Vater zu Beatrice. Das kleinbürgerliche Bild einer Vorzeigefamilie zerbrach mit der Ehe meiner Eltern zu Scherben. Das Haus meiner Kindheit wurde verkauft. Meine Mutter und ich zogen in ein winziges Apartment.
    In der Nachbarschaft, im Freundeskreis und in der Gemeinde blieben das Scheitern der Ehe und der Verlust des sozialen Status nicht unkommentiert. Die Menschen in der Gegend von Salem waren schon immer gern bereit gewesen, ihr ausgeprägtes moralisches Gespür und ihre Selbstgefälligkeit zum Ausdruck zu bringen.
    Es folgten die nomadischen Ambitionen meiner Mutter verbunden mit den erwähnten Männerbekanntschaften. Ich war damals zum Glück schon längst im Internat in Andover gewesen, danach am College. Die Zeit der Kleinstädte lag nun ein für alle Mal hinter mir.
    Wenn ich wieder aufs Land ziehen würde, dann nur in mein abgeschottetes Anwesen, meinen Palast aus Glas, Stahl und schneeweißem Beton, wo ich mit neugierigen Nachbarn und bigotten Tratschweibern nichts zu tun haben würde. Solche würden mich allenfalls beobachten, wenn mein Fahrer mich durch das große Tor chauffieren würde. Sie würden sich fragen, wie das Grundstück hinter den hohen Hecken und den großen Bäumen wohl aussähe, und was für ein Mann das wäre, der dort wohnte. Aber ich würde das nicht mitbekommen, weil ich mich nicht herablassen würde, mich mit ihnen zu beschäftigen.
    Meine Kleiderwahl für meinen anstehenden Ausflug beschäftigte mich dagegen umso mehr:
    Zunächst erwog ich, im Elfenbeinanzug mit zweireihiger Weste, hohem Kragen und Krawatte den Typus eines Südstaatengentleman darzustellen – ich hatte den grandiosen Stil von Tom Wolfe seit langem bewundert, wenn mir die Arbeit bislang auch keine Zeit gelassen hatte, seine wie auch jegliche andere Romane zu lesen. Ich verwarf diese Idee allerdings, weil ich sicher war, „Seine Ehren“ würde mir ohnehin in Anglerkluft gegenübertreten und mir auch in smart casual die gehörige Aufmerksamkeit schenken. Mein sommerliches Outfit umfasste schließlich ein leichtes marineblaues Jackett mit goldenen Knöpfen, hellbeige Baumwollhosen, ein rosanes Buttondown-Hemd und ein passendes Paisley-Einstecktuch, ochsenblutfarbene Tassel-Loafer aus Pferdeleder und einen gleichfarbigen Gürtel aus der geschmeidigen Bauchhaut eines Alligators.
    Um 9.30 Uhr stieg ich in meinen Wagen und machte mich in Richtung South Port auf. Ich fuhr über die

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