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Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See

Titel: Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Neblin
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dieses Rasenstücks ein.
    Mein Park strotzte vor Energie und vor Leben. Dort tummelten sich Jogger, Spaziergänger, Inline-Skater, Geschäftsleute, die dort ihre Mittagspause verbrachten, Schulklassen, die einen Ausflug machten. Es gab den See mit Tretbooten und das Baseballfeld. Der Park pulsierte. Ein grüner Pol umgeben von mächtigen Gebäuden, eingefasst von Straßen, auf denen sich Blechlawinen ihren Weg bahnten.
    Hier dagegen gab es einen Weiher, ein Wasserloch, das man wahrscheinlich Stadtsee nannte, auf dem ein paar gammelige Enten ihre langweiligen Kreise zogen. Eine aufgedunsene Mutter in einem ärmellosen Oberteil, das ihre fleischigen Arme erst richtig zur Geltung brachte, verfolgte mit Kinderwagen und ihrem Gör an der Hand dieses hochspannende Schauspiel. Eine alte Frau schlich auf einen Stock gestützt in Richtung der weißen Holzkirche in der hinteren Hälfte der Anlage, wo die ganze Bande der honorigen Heuchler und Tratschweiber am Sonntag psalmodieren und sich und dieses Kaff feiern würden.
    Bei dem Gedanken an dieses Pack lief es mir trotz des Sommerwetters kalt den Rücken hinunter. Lieber ein Penner im Boston Common als ein geachteter Bürger in South Port. Glücklicherweise war ich an meinem Ziel angekommen und musste mir darüber nun nicht weiter Gedanken machen. Auf der anderen Straßenseite, mit Blick auf die Kirche – wen überraschte es? -, lag das Rathaus und gleich daneben das Gerichtsgebäude. Zumindest wurde es mir so von meinem Navigationssystem angezeigt, als ich vor dem zweigeschossigen roten Backsteinbau hielt, vor dem die amerikanische Flagge müde flatterte.
    Ohne mich mit der Suche nach einem Parkplatz aufzuhalten, stellte ich den Wagen direkt vor der breiten Eingangstreppe ab. Dort herrschte zwar Parkverbot, aber der symbolische Effekt war mir das Ticket wert. Mit etwas Glück würden die ach so fröhliche Gerichtstante oder „Seine Ehren“ höchst selbst es sehen, und ob dieser Unverfrorenheit einen Herzschlag erleiden. Abgesehen davon wollte ich diese Farce so schnell wie möglich hinter mich bringen, am Hafen einen Happen essen und dann schnell wieder zurück nach Boston.
    Ich zog mein Jackett über, erklomm festen Schrittes die Treppe zu dem säulengeschmückten Portal und wollte mich am Empfang zu Richter Rutherfords Zimmer weisen lassen. Doch es gab keinen Empfang. Das wäre schließlich auch zu bürgerfreundlich gewesen.
    Ich fand mich in einem breiten Flur, in dem auf halber Strecke eine Tür offen stand. Neben der Tür, vom Eingang aus selbstredend nicht auszumachen, befand sich ein kleines Messingschild: Anmeldung. Ein übellauniger, uniformierter Gerichtswachtmeister, der sich in seiner fensterlosen Kammer von einem Minifernseher berieseln ließ, hieß mich, in den zweiten Stock zu steigen und mich in Zimmer 23 vorzustellen, was ich dann auch tat.
    „Oooh, Mr. Meyers. Ich erinnere mich“, begrüßte mich eine hagere Frau in einem bunt geblümtem Sommerkleid.
    Ms. Sunley war Mitte Vierzig und hatte anscheinend eine Vorliebe für auffälligen Modeschmuck und knallig pinken Lippenstift.
    „Es tut mit leid, seine Ehren ist leider …“
    „Angelausflug?“
    Ich grinste Sie übertrieben freundlich an.
    „Ach, nein.“ Sie kicherte. „Um halb Elf ist er für gewöhnlich für eine Tasse Tee bei Richter Stanton. Jetzt ist es … fünf vor Elf. Nehmen Sie doch bitte Platz. Er wird sicher gleich hier sein.“

13.      Kapitel

 
 
    Die Teestunde der Richter schien länger zu dauern. Um 11.15 Uhr wurde ich ungeduldig und verlangte, Ms. Sunley möge nun umgehend in Richter Stantons Büro anrufen und Richter Rutherford herzitieren, was sie mit dem Hinweis, man dürfe die Herren Richter unter gar keinen Umständen stören, mit erstaunlicher Vehemenz ablehnte: Die Herren hätten vermutlich wichtige Rechtsangelegenheiten zu klären.
    Natürlich. Ich war mir sicher, dass sie so in ihre Arbeit vertieft waren, dass sie die verstreichende Zeit einfach nicht bemerkten.
    Um 11.25 Uhr hatte ich den Entschluss gefasst, mich selbst auf die Suche nach Richter Stantons Büro zu machen, als ein Mann mit silbergrauem Haar ins Zimmer trat, mich verdutzt musterte und meine Anwesenheit mit „Na, wen haben wir denn hier, Camille?“ quittierte.
    Reflexhaft erhob ich mich und machte einen Schritt auf ihn zu.
    „Das ist Mr. Meyers, Euer Ehren. Sie haben ihn vorgeladen.“
    „Meyers. Ja, ich weiß schon, ich weiß schon. Schicken Sie ihn in fünf Minuten rein.“
    Er ging, ohne

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