Annabell oder Die fragwuerdige Reise in das Koenigreich jenseits der See
gut.“
Doch meine zitternden Beine straften mich Lügen. John stützte mich.
„Das ist die Aufregung, Mr. Meyers. Das geht bald vorbei.“
„Ja, das wird es sein. Man erlebt ja nicht jeden Tag seine eigene Hinrichtung. Und wenn man so über seinem eigenen Grab lehnt, kommen einem doch irgendwie Zweifel.“
„Wir hatten alles unter Kontrolle. Richtmikrofon, Nachtsichtgeräte, der ganze Schnickschnack. Sie waren nicht einen Moment lang in Gefahr. Hätte einer von denen sich zu unkontrollierten Bewegungen hinreißen lassen, die eine ernsthafte Bedrohung dargestellt hätten, hätten wir ihn umgelegt. Den Spruch von der tödlichsten Waffe der Welt kennen Sie doch aus dem Kino?“
„Natürlich, John: ein Marine mit seinem Gewehr.“
„Exakt.“
Während mein Herzschlag langsam wieder gegen Normal tendierte, wurden die Biker mit Kunststoffschlingen und Klebeband gefesselt und geknebelt. Der Glatzkopf kniete noch mit in den Nacken gelegten Armen auf dem Boden, als ich zu ihm trat.
Ich schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.
„Das ist für Annabell.“
Der Schlag brachte ihn aus dem Gleichgewicht und er stürzte zu Boden. Ich reichte ihm die Hand. Er sah mich verständnislos an und ergriff sie zögernd, vermutlich den nächsten Hieb erwartend.
Ich half ihm auf die Füße.
„Das ist dafür, dass Du mit so einem Bruder aufwachsen musstest.“
Bevor er etwas erwidern konnte, wandte ich mich ab.
39. Kapitel
Zwanzig Minuten später trafen wir in der Bonham Lane ein. John und ich im Porsche, die Jungs in zwei gemieteten Lieferwagen.
Der Polizist, der zu Annabells Schutz vor dem Haus postiert war, schreckte aus dem Halbschlaf hoch und zog seine Dienstwaffe, als wir auf die Auffahrt fuhren. Zwar hatten die Männer ihre Tarnanzüge durch zivile Kleidung ersetzt und sich die Farbe so gut es ging aus dem Gesicht gewischt. Gleichwohl musste es dem Polizisten merkwürdig anmuten, dass ich, die Blessuren des Kampfes notdürftig versorgt, nach Mitternacht mit einer Truppe von zwölf bedrohlich dreinblickenden Männern über das Haus herfiel.
„Mr. Meyers“, er steckte die Waffe ins Halfter. „Verzeihung. Ich habe Sie nicht gleich erkannt.“
„Machen Sie sich keine Sorgen. Es ist alles in Ordnung. Diese Herren sind Freunde von mir. Wir waren heute Abend in Plymouth unterwegs und wollen nun sehen, ob wir noch etwas Anständiges zu essen bekommen. Ihre Anwesenheit wird hier vermutlich heute nicht mehr gebraucht. Vielen Dank, dass Sie gut auf meine Schwester achtgegeben haben.“
„Das ist … mein Job, Mr. Meyers. Ich weiß nur nicht …“ Er zögerte. Offenbar unentschlossen, was er von der Situation halten sollte. „Wissen Sie, mein Vorgesetzter hat mich ausdrücklich angewiesen …“
John meldete sich zu Wort und sah ihm fest in die Augen. „Rufen Sie ihren Vorgesetzten an und sorgen Sie dafür, dass er mit ein paar Männern zu der Brücke am alten Friedhof fährt. Da gibt es etwas, das ihn interessieren dürfte.“
„Ich weiß nicht, ob …“
„Tun Sie’s einfach.“
Widerstrebend verabschiedete sich der Polizist und fuhr davon. Er und seine Kollegen sollten noch lange später von dem merkwürdigen Fund erzählen, der sie am alten Friedhof erwartete. Eine Gruppe gefesselter Männer mit Jutesäcken über dem Kopf, die mit rosa Schleifenband wie Geschenkpakete dekoriert waren. Daneben eine Videokamera. Das Filmmaterial zeigte deutlich, wie diese Männer an einer versuchten Hinrichtung teilgenommen hatten. Der Anführer der Gruppe war einer beigefügten Nachricht zufolge mit Betäubungsmitteln ruhiggestellt und notdürftig verarztet vor dem Hospital von South Port abgesetzt worden. Sein Gesundheitszustand war stabil.
Da das Videomaterial offenbar von den Tätern selbst hergestellt worden war, war es ohne Weiteres gerichtlich verwertbar. Mehrere Mitglieder der Gruppe wurden bereits wegen verschiedener anderer Delikte gesucht. Gegen den Bruder des Anführers wurde wegen einer versuchten Vergewaltigung ermittelt. Sie würden eine angemessene Strafe erhalten. Doch bevor wir sie verlassen hatten, hatte John ihnen und ihrem Anführer unmissverständlich deutlich gemacht, dass erst ihre Männlichkeit und schließlich ihr Leben auf dem Spiel standen, sollten sie noch einmal einen Fuß nach South Port setzen oder die Geschwister Meyers jemals wieder behelligen. Doch diese Botschaft fand sich nicht auf dem Video.
Als wir das Haus betraten, kam Annabell die Treppe herunter. Sie trug
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