Annas Erbe
beigebracht. Politolie, Politologie, bah! Diese Kommunisten und Anarchisten sind schuld, dass er jetzt tot ist.« Sie kippte das zweite Gläschen.
Thann blieb noch eine halbe Stunde. Er glaubte, dass diese Frau jemanden brauchte, um auszusprechen, was Jahrzehnte in ihr eingeschlossen war. Einen Zuhörer, der ihr half, über den Verlust ihres Sohnes hinwegzukommen, den sie bereits vor 25 Jahren verloren hatte.
Und jetzt für immer.
13.
Thann traf sich ein zweites Mal mit Klaus Beckmann, diesmal vor dem Haus in der Goethestraße. Schweigend stiegen sie die Treppe in den zweiten Stock hoch zur Wohnung des Toten. Von Dalla und Schneider konnte Thann nichts bemerken. Er vermutete, dass die beiden Kollegen gerade einen der Hausbewohner befragten.
Schweigend begutachtete der Professor die Einrichtung, wie der oder die Einbrecher sie hinterlassen hatten.
»Die Stereoanlage fehlt. Verstärker, Radio und CD-Spieler«, stellte Beckmann fest.
»Und sonst?«
Beckmann sah sich weiter um und schüttelte den Kopf. »Nichts.«
»Vielleicht doch nur ein normaler Einbruch.«
»Aber wer einbricht, um die Stereoanlage zu klauen, richtet doch keine solche Verwüstung an, oder? Ich meine, die haben doch nach etwas gesucht!«
»Es gibt die Möglichkeit, dass ein Junkie hier war, nach Drogen suchte und die Anlage mitgehen ließ, um sich den nächsten Schuss zu finanzieren.«
»Glauben Sie das?«
»Nein«, bekannte Thann. »Das kommt zwar vor und sieht dann auch so aus, aber meist in anderen Gegenden. Und dann war es der Junkie aus der Wohnung nebenan, und ich glaube nicht, dass es das in diesem Haus gibt.«
»Was jetzt?«
»Hat Günther Eich Ihnen gegenüber Bemerkungen gemacht, er hätte Hinweise, wer der wahre Friedrichstraßenmörder war? Und dass er ihn stellen werde?«
»So konkret nicht. Aber das würde einiges erklären, oder? Er hat immer beteuert, er sei es nicht gewesen. All die Jahre. Als ich ihn am letzten Freitag vom Gefängnis abholte, war eins seiner ersten Worte, er werde alles daran setzen, um seine Rehabilitierung zu betreiben. Er wollte sich mit Leuten treffen, die er von früher kannte. Leute, die auch mit Anna zu tun hatten.«
»Anna Korfmacher?«
»Ja.«
»Wie lange waren die beiden zusammen?«
»Etwa ein halbes Jahr. Kennengelernt hatten sie sich übrigens auf einer Party bei mir. Es war Liebe auf den ersten Blick. Die beiden hingen den ganzen Abend zusammen und knutschten. Günther war gar nicht ansprechbar.«
»Erzählen Sie mir mehr über Anna Korfmacher.«
»Sie war eine wunderbare Frau. Sie sah sehr gut aus, und es war toll, wie sie es fertigbrachte, zu studieren und zugleich ihre Kinder zu versorgen. Der Älteste ging bereits in den Kindergarten. Aber die Kleinen nahm sie oft mit ins Seminar. Der Kleinste war erst ein paar Monate alt, als Günther sie kennenlernte.«
Sie setzten sich an Eichs Küchentisch, mitten ins Chaos.
Beckmann fuhr fort. »Anna hatte zu der Zeit bereits eine Ehe hinter sich. Von dem monatlichen Scheck ihres Exmannes konnten sie und die Kinder gerade so leben. Sie hatte eine tolle Wohnung, die wenig Miete kostete. Es gab kaum ein Wochenende ohne eine Party bei Anna. Dann kam die Kündigung, und die Wohnungsgesellschaft bot ihr eine Menge Geld dafür, dass sie rasch auszog. Doch sie lehnte das Geld ab und blieb drin. Ihr Exmann hatte schon vorher in der Wohnung gewohnt oder so. Jedenfalls betrug die Kündigungsfrist mehrere Jahre.
Wir haben dann auch Geld gesammelt für einen Prozess. Während dieser Zeit sind die anderen Wohnungen besetzt worden, die leer standen, weil sie die Mieter hinausgeekelt hatten. Es war eine sehr politische Zeit, und Anna stand immer im Mittelpunkt. Nicht politisch, aber irgendwie war sie die Mutter der Bewegung.
Günther gefiel das schließlich nicht mehr. Er wollte sie ganz für sich haben. Er kämpfte zwar mit an vorderster Front für die Erhaltung des Hauses und gegen das Spekulantentum, aber insgeheim, glaube ich, wäre es ihm lieber gewesen, Anna hätte das Geld angenommen und wäre mit ihm und den Kindern in eine andere Wohnung gezogen. Vielleicht tue ich ihm auch unrecht. Aber er hat mir damals mehrfach gesagt, er käme sich bei Anna vor wie das fünfte Rad am Wagen. Dabei hat es Anna sicher nie so gemeint. Sie hatte einfach, wie soll ich es sagen, mehr Liebe als nur für einen ausschließlich.«
Ein anderer hat das Flittchen totgemacht, der auch eifersüchtig war.
Beckmann hielt inne und sah Thann forschend in die
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