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Annas Erbe

Annas Erbe

Titel: Annas Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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Augen. »Heute herrscht ein anderer Zeitgeist, und Sie sind zu jung, um das damals erlebt zu haben. Es war eine Zeit des Umbruchs, in gewissem Sinn eine revolutionäre Zeit. Auf kulturellem Gebiet, meine ich. Anna lebte das, was viele von uns als Ideal hatten, aber nicht leben konnten.«
    Ende des Lieds von der Mutter Courage der Hausbesetzer, dachte Thann. Er wollte mehr wissen, Fakten statt Ideologie.
    »Wer war der Mann oder Exmann von Anna Korfmacher?«
    »Weiß ich nicht. Ich glaube, es war ein Beamter oder so. Mehr weiß ich nicht.«
    »War sein Name Korfmacher oder war das ihr alter Mädchenname?«
    »Ich glaube Letzteres. Ja, nach der Scheidung hatte sie ihren alten Familiennamen wieder angenommen.«
    »Wer gehörte damals zum Freundeskreis von Frau Korfmacher?«
    »Oje! Ihr Freundeskreis war so groß wie ihr Herz, und das war unendlich.«
    Gleich spricht er sie heilig, dachte Thann. Die Mutter Gottes der Anarchisten.
    »Im weiteren Sinn waren es die Hausbesetzer, die in zwei großen Wohnungen unter der von Anna lebten, die Kommilitonen in den Seminaren, die Anna besuchte, der ›Kapital‹-Lesekreis, den wir damals hatten, und die sozialistische Basisgruppe, zu der sie regelmäßig ging. Wer sie kannte, musste sie einfach mögen, und ihre Wohnung stand allen offen.«
    »Und in engerem Sinn?«
    »Unser engerer Freundeskreis zählte vielleicht zwanzig, fünfundzwanzig Personen.«
    So viel Freundschaft und Liebe erschien Thann verdächtig. »Haben Sie auch mit ihr geschlafen?«
    Beckmann runzelte die Stirn und zupfte an seinem Hemdkragen herum. »Natürlich war ich auch ein wenig in sie verliebt. Die Aufmerksamkeit einer so fabelhaften Frau schmeichelt jedem, nehme ich an. Bei einer dieser Partys schlief ich dann auch mit ihr. Irgendjemand rief, lasst uns morgen mit einem ›Love-in‹ gegen die Universitätshierarchien demonstrieren. Ein anderer sagte, lasst uns das ›Love-in‹ doch gleich hier proben. Tja, und so geschah es auch zwischen Anna und mir. Es setzte sich noch ein paar Tage fort, doch dann wurde mir klar, wie sehr ich Günther verletzte. Außerdem begann meine damalige Freundin ebenfalls eifersüchtig zu werden.«
    »Lockere Zeiten! Wer war denn noch so eifersüchtig, dass er Anna Korfmacher den Tod wünschte?«
    »Das habe ich nicht gesagt, dass Günther oder meine damalige Freundin ihr den Tod wünschten!«
    »Habe ich auch nicht so gemeint. Aber können Sie sich erinnern, wer mit Frau Korfmacher Streit hatte?«
    »Die Wohnungsbaugesellschaft natürlich. Denen hatte sie erst mal das Geschäft vermasselt. Aber sonst, also aus Eifersucht zu streiten, das war unter uns damals tabu. Wer eifersüchtig war, hatte selbst Schuld und musste an sich selbst arbeiten, um die Eifersucht zu überwinden. So dachten wir damals eben. Nur einige Männer aus dem, ich will mal sagen, mehr proletarischen Milieu hatten Schwierigkeiten mit dieser Regel. Leider hatte Anna manchmal gerade für solche Burschen eine Schwäche. Da flogen schon mal die Fetzen. Erinnern kann ich mich an einen Streit mit einem Freund, den Anna vielleicht so zwei Wochen vor ihrem Tod hatte. Aber mehr kann ich beim besten Willen nicht aus meinen grauen Zellen leiern. Es ist eben schon lange her.«
    »Wer war dieser Freund?« Vielleicht eine Spur.
    »Heinz Pfaff, ein etwas einfach strukturierter Geist. Aber sicher kein Mörder.«
    »Und Günther Eich hat keinen Namen aus früheren Zeiten erwähnt?«
    »Nein. Wie ich schon sagte, er hatte sich verändert, ist viel verschlossener geworden. Er hat vieles angedeutet, er wollte Leute treffen, er wollte sich Klarheit verschaffen. Nichts Konkretes. Ich zweifelte, ehrlich gesagt, ob er wirklich jemandem auf der Spur war. Ich glaube, er wollte seinen Anwalt dransetzen, für seine Haftzeit als Unschuldiger eine Entschädigung zu bekommen. Sie haben mir Anna und einen Teil meines Lebens genommen, und dafür sollen sie bezahlen, das hat er einmal gesagt.«
    »Wann haben Sie ihn eigentlich zuletzt gesehen?«
    »Zuerst traf ich ihn täglich, dann zuletzt am Montag.«
    In der Nacht zum Donnerstag war er ermordet worden.
    »Keine Ahnung, wen er sonst sah?«
    »Na ja, am Sonntag besuchte er seine Mutter. Und zu seinem Anwalt wollte er auch. Dann traf er einmal diesen Bewährungshelfer. Ach ja, Fritz Engels wollte er auch treffen, den alten Kommunarden. Doch ein Name aus früheren Zeiten, jetzt fällt's mir ein. Ich wusste übrigens gar nicht, dass der noch in der Stadt wohnt.«
    Thann notierte die Namen: Engels

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