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Annas Erbe

Annas Erbe

Titel: Annas Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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allerbeste Wohnlage. Thann drückte auf die Klingel. Fritz Engels, vierter Stock.
    Als er in Engels' Wohnzimmer stand, sah er aus dem Fenster. Der Park, dahinter die Hochhäuser. Draußen war es dunkel geworden. An einem der Bürotürme bildeten die erleuchteten Fenster die Form eines Weihnachtsbaums. Die frohe Botschaft eines Versicherungskonzerns, überdimensional und von überall aus zu sehen. Ein brauner Hund mit eingedrückter Schnauze schnupperte an Thanns Bein. Eine Bulldogge. Ihr Herrchen rief sie zu sich.
    Thann kannte Engels vom Hörensagen. Er war in den längst vergangenen Zeiten der berühmteste der Kommunarden gewesen, der Clown der Studentenbewegung. Es hieß, Engels habe einst im Gerichtssaal auf die Aufforderung, beim Eintreten der Richter gefälligst aufzustehen, geantwortet: »Ja, wenn's der Wahrheitsfindung dient!«
    Thann bewunderte die geschmackvolle, moderne Einrichtung des Apartments und fragte sich, wie ein ehemaliger Bürgerschreck an das Geld gekommen war, das ein solcher Wohnstil verlangte.
    An den Wänden hingen Bilder, bunt und wild und zugleich realistisch. Thann war kein Kunstkenner, aber ihm gefiel der Stil. Ein Bild zeigte ein tanzendes Pärchen, die Glieder weit von sich werfend, ein anderes Taxis in einer nächtlichen Straßenschlucht, die roten Lichter an Autos und Ampeln groß und grell. Das dritte Gemälde bestand weitgehend aus einer leuchtend gelben Fläche, einem Rapsfeld unter einem Himmel aus tiefem Blau. Am Horizont zeichneten sich die vagen Umrisse der Stadt ab.
    Engels bemerkte das Interesse des Kripomanns an seinen Bildern. »Der dies malte, wohnte auch in unserer Kommune, ein paar Monate lang. Damals teilten wir das Brot, den Wein und die Bettgefährtinnen, heute muss ich für seine Bilder viel Geld bezahlen. Auch so ein etablierter Arsch, der mich erst wieder kennt, seit ich viel Geld verdiene und mir seine Bilder leisten kann.«
    Engels schenkte Thann einen Grappa ein und erzählte seine Geschichte. Er erzählte von der Zeit, die 25 Jahre zurücklag, voller Ironie. Doch Thann spürte die Sentimentalität, die Engels dahinter verbarg. Die berühmt-berüchtigte Kommune schien für Engels ein Lebensabschnitt zu sein, dem er hinterhertrauerte, ohne dies eingestehen zu wollen.
    Im alten Haus an der Friedrichstraße habe es drei verschiedene Etagen gegeben, die verschiedene Szenen beherbergten, lernte Thann. Unten die Spontis und Anarchos, die mit ihren Demonstrationen, auf denen erst Steine, dann Molotowcocktails flogen, die Stadt in Atem hielten. Im ersten Stock die Kommune, für die eine Hausbesetzung mehr eine Art Kunstform gewesen sei.
    Ihre Waffe gegen das Establishment sei nicht die Gewalt, sondern der Witz gewesen, erklärte Engels. Es sei ihnen darum gegangen, Rituale der bürgerlichen Gesellschaft zu entlarven. Dafür waren sie von den anderen Hausbewohnern rasch als unpolitisch gescholten, von den linksliberalen Medien jedoch geliebt und oft besucht worden. Auch Anna Korfmacher hätte zu denen gehört, die ihn und seine Kommunarden als »im Kern bourgeois« bezeichneten. »Dabei bin ich ein Spross der Arbeiterbewegung, nicht umsonst nannte mich mein Vater Friedrich!«, sagte Engels mit verschmitztem Lächeln.
    An Anna konnte er sich gut erinnern. Sie habe im zweiten Stock gewohnt als einzige reguläre Mieterin im Haus. Ungeachtet aller ideologischen Differenzen seien die Beziehungen gutnachbarschaftlich gewesen. Anna habe mit Lebensmitteln ausgeholfen, wenn keiner der Kommunarden an den Einkauf gedacht hatte, und oft sei man zum Fernsehen nach oben gegangen, denn in der Kommune sei die Glotze verpönt gewesen, erklärte Engels mit spöttischem Zwinkern. Ein Idyll, das jedoch nicht lange hielt.
    »Vier Monate, nachdem wir das Haus besetzt hatten, war Anna tot. Dann zerfiel alles, der kurze Sommer der Anarchie verblühte. Die aus dem Erdgeschoss begannen, Bomben zu basteln, wir kamen auf den Drogentrip und die ganze Guruscheiße, und die Soziologen im zweiten Stock zerstritten sich in Trotzkisten und Maoisten, in Stalinisten und Antirevisionisten. Die ganze Scheiße. Diese Studenten, die die Revo organisieren wollten, waren im Grunde die wahren Spießer. Nach einem Jahr war das Haus geräumt und abgerissen, und ich saß auf Formentera, nähte indische Gewänder und kiffte, was das Zeug hielt. Jede Stunde ein Joint, und der Tag ist dein Freund.«
    Er sah, dass Thann der Grappa schmeckte, und schenkte nach. Thann fragte ihn nach Annas Kindern.
    »Süße Blagen,

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