Annas Erbe
dieser Einstellung sehen, alles sind nur Requisiten. Hier sehen Sie den Fußboden, grau gestrichener Estrich. Das hat niemand in seinem Wohnzimmer. Sie werden in keiner der Szenen ein Fenster entdecken. Leider haben wir dadurch keinen Anhaltspunkt, wo sich das Studio befindet. Der Raum wurde durch drei Scheinwerfer beleuchtet, wie Sie hier an den Schatten erkennen können.« Der Pornospezialist deutete auf die Mattscheibe.
»Nun zu den Darstellern. Es sind weder erfahrene Profis noch konnten wir sie anhand unserer Kartei identifizieren. Sie haben zwar nichts mit den Tiergeschichten des letzten Drittels zu tun, könnten aber Hinweise geben auf Drehort und Produzent. Achten Sie auf das etwas grobkörnige Bild. Die Filmqualität ist schlechter als in der letzten Szene, wahrscheinlich bereits mehrfach kopiert. Und noch ein Unterschied: Während in den ersten beiden die Darsteller im Nachhinein synchronisiert wurden, liegt die dritte Szene im Originalton vor.«
Tommaso drückte auf den schnellen Vorlauf. Dann kam Teil zwei. Eva.
»Scharfes Weib!«, staunte Bönte und erntete einen zurechtweisenden Blick des Dicken. Thann fühlte sich unbehaglich.
»Hier sehen Sie besonders deutlich, dass Stimme und Lippenbewegungen nicht synchron sind. Das ist beim letzten Drittel anders. Dort wurde an der Nachbearbeitung gespart, wahrscheinlich um die Zahl der Zeugen gering zu halten«, erklärte Pornograf Tommaso.
Dann ließ er das Band erneut schneller laufen bis zu der Szene, in der die Tiere ins Spiel kamen. Hund, Ziegenbock, Pony.
»Die Darsteller waren sich offenbar der Illegalität bewusst. Nur die Frauen sind vollständig zu sehen, dafür tragen sie Masken. Es sind Masken, wie man sie in der Karnevalszeit überall kaufen kann. Der Raum ist der gleiche wie in den Szenen zuvor, die gleichen Möbel. Neu dazugekommen ist dieser Teppich. Von den Tieren können wir uns kaum Anhaltspunkte erwarten. Sie können in einem Tierheim gelandet sein, im Ausland oder unter der Erde. Die Tiere können wir vergessen. Von den Männern sehen wir kaum mehr als die Beine. Auch die können wir vergessen, bis auf diesen.« Er hielt das Bild an.
»Sie sehen die Narbe, quer unter dem Knie. Es sieht aus wie nach einer Meniskusoperation. Wenn wir vom Bein auf den Rest schließen, haben wir hier einen Mann, der etwas Übergewicht hat, stark behaart ist und einmal am Knie operiert wurde. Oder er hatte einen Unfall, der eine ähnliche Narbe zurückließ.« Tommaso ließ das Band weiterlaufen.
Tommaso ging über zu den beiden Frauen. Immer, wenn er ein Detail erwähnte, das ihm wichtig schien, hielt er das Band an. Er referierte über auffällige Merkmale, von der blonden Locke, die unter der dunklen Perücke hervorspitzte, bis hin zur unreinen, schwammig wirkenden Gesichtshaut, die auf hohen Alkohol- oder Tablettenkonsum hinwies.
Doch Thann interessierte das alles nicht mehr. Er hörte nicht mehr zu, als Tommaso über die allenfalls halb professionelle Art der Kameraführung und des Schnitts dozierte, und auch nicht, als Tommaso zum Schluss bedauerte, nicht mehr Anhaltspunkte gefunden zu haben.
Thann hatte genug gesehen. Bereits in einer der ersten Einstellungen des tierischen letzten Drittels hatte die Kamera schräg nach oben gefilmt, an den Beinen der einen Frau entlang. An der Decke hing eine Lampe aus Chrom und mit vielen kleinen Birnen. Die selbe, die er gestern im Hinterhaus der Dresdner Straße 70 gesehen hatte. Udo Korfmacher.
Ende der Vorführung. Thann murmelte eine Entschuldigung und stürzte hinaus. Die erstaunten Gesichter der anderen waren ihm egal.
Die Verwaltung hatte sämtliche Dienstwagen bereits vergeben. Thann hatte die Wahl zwischen öffentlichem Nahverkehr und Privatwagen. Er nahm seinen Golf und fuhr ihn etwas schonender, als er ein Dienstfahrzeug behandelt hätte.
26.
Der Schnee blendete Thann, als er den Friedhof betrat. Er kniff die Augen zusammen. Nur hier und da hatte ein Angehöriger eine Steinplatte freigefegt oder eine Blume aufs Grab gestellt. Sonst herrschte das Weiß, es bedeckte Kreuze, Hecken und Bäume. Bereits nach wenigen Schritten war der Lärm der Stadt weit entfernt, kaum noch zu ahnen. Thann genoss die Ruhe des Ortes. Er sog die Luft ein, die ihm hier, mitten in der Stadt, doch ein wenig klarer schien. Er dachte an Weihnachten und an seinen Vater. Bei dessen Beerdigung war Thann zuletzt auf einem Friedhof gewesen.
Die weiße Decke würde nicht mehr lange halten. Es war wärmer geworden. Von
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