Annas Erbe
schon komisch vor. Und dann sagt der Hausmeister am Freitag, zwei Tage später zu mir, Sie, Frau Singelstein, sagt er, stellen Sie sich vor: Ihr Nachbar ist tot. Ermordet. Und eingebrochen haben sie auch. Da wusste ich auf einmal, was das für ein Krach war. Vielleicht hätte ich doch die Kollegen von Ihnen holen sollen. Aber man kann ja nicht alles rechtzeitig wissen.«
»Haben Sie das meinen Kollegen erzählt, die am Freitag alle Bewohner hier im Haus besuchten?«
»Uns hat doch niemand gefragt. Ich hab' den ganzen Tag gewartet, nachdem der Hausmeister mich informiert hatte. Man hält sich ja bereit als mögliche Zeugin, das ist doch staatsbürgerliche Pflicht, nicht wahr? Aber kein Mensch wollte etwas von uns wissen. Erst jetzt kommen Sie daher. Das ist doch typisch: Erst denken Sie, Sie finden die Täter ganz allein, und dann gucken Sie ganz erstaunt und sperren den Mund auf vor Staunen.«
Uns hat doch niemand gefragt. Thann schloss den Mund. Dalla und Schneider hatten nichts getan. Blaugemacht, seine Anordnungen missachtet. Wahrscheinlich hatten sie sich hinter seinem Rücken über ihn lustig gemacht und waren zu Bollmann gelaufen, um ihn, Thann, anzuschwärzen.
Plötzlich formte sich in Thann ein Gedanke: »Wie sahen die Männer aus, die während des Einbruchs in dem Streifenwagen saßen?«
»So genau konnte ich das nicht sehen. Das Auto stand weiter drunten, Richtung Schillerstraße. Aber es war nur einer, vielleicht groß und kräftig.«
Das passte auf fast jeden.
»Haben Sie irgendjemanden gesehen, den Sie mit dem Einbruch nebenan in Verbindung bringen können?«
»Ich hab' mich nicht getraut, ins Treppenhaus zu schauen. Und als der Krach vorbei war, da war ich erst mal froh. Rüberlaufen wollte ich nicht. Ich dachte ja zuerst, der Eich sei übergeschnappt. Da wollte ich mit ihm erst mal nichts zu tun haben, nicht wahr? Der Eich war schon vorher recht komisch. So still, fast, als wollte er einem aus dem Weg gehen. Dabei sollten Nachbarn doch eine Gemeinschaft bilden.«
Thann war froh, Frau Singelstein nicht zur Nachbarin zu haben.
28.
Dresdner Straße, Nummer 70. – Diesmal war Udo Korfmacher zu Hause.
»Was wollen Sie? Ich habe nicht viel Zeit. Ich muss ein Shooting vorbereiten. In einer halben Stunde kommt das Model. Ich weiß wirklich nicht, was Sie wollen. Ich habe mit dem Mord nichts zu tun. Sie haben mich schon auf der Deponie schikaniert. Was wollen Sie?«
Zu viele Worte für einen, der mit nichts etwas zu tun hat. »Wie kamen Sie so rasch zum Fundort der Leiche?«, fragte Thann.
»Die Zeitung hat mich angerufen. Ich hatte Bereitschaft. Woher die es wussten, weiß ich nicht. Es gab keine Absperrung, und so bekam ich, was ich wollte.« Korfmacher zeigte auf die Wand des Flurs.
Dieselben Fotos, die der BLITZ am Morgen nach dem Leichenfund auf Seite eins hatte. Und noch ein weiteres: Der zerschundene, blutverkrustete Kopf des toten Günther Eich in Großaufnahme, ein Auge rot, das andere unversehrt. Noch einer, der die Angewohnheit hat, seinen neuesten Fall zu Hause an die Wand zu hängen.
Thann schob sich an Korfmacher vorbei in dessen Wohnzimmer. Auch hier jede Menge Fotos, meist vergrößert auf Posterformat. Reportagefotos, Prominentenporträts, nackte Mädchen. Alles bunt durcheinander und dicht an dicht. Thann wurde fast schwindelig.
»Wann erfuhren Sie, wer der Tote war?«
»Einen Tag später als Sie, denke ich. Am Samstag aus der Zeitung.« Korfmacher grinste. Die Zahnlücke war gefüllt.
»Ich sehe, Sie waren beim Zahnarzt«, bemerkte Thann.
Korfmacher verzog den Mund. »Wie gesagt, ich habe keine Zeit. Ich muss jetzt ins Studio. Ich habe zu tun.«
»Macht nichts. Ich begleite Sie.«
Thann folgte Korfmacher durch den Hof ins Hinterhaus. Er trug die gleiche Tausend-Taschen-Weste wie bei ihrer ersten Begegnung. Die braunen Stoppelhaare kamen Thann noch kürzer vor als vor vier Tagen.
»Sie wissen, dass Günther Eich der Freund Ihrer Mutter war und als Mörder Ihrer Mutter verurteilt worden war?«
Korfmacher lief hastig die Treppe hoch. Unwirsch, ohne anzuhalten. »Auch das las ich in der Zeitung. Aber das ist schon 25 Jahre her. Ich war damals fünf, und heute bin ich dreißig. Meine Mutter ist mir so fremd wie der Weihnachtsmann. Dieser Eich ist mir egal.«
Der Fotograf sperrte die Stahltür auf, an der Thann am Abend zuvor vergeblich geklopft hatte. Sie betraten einen großen Raum mit weißen Wänden und grau gestrichenem Fußboden. Möbel und Scheinwerfer
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