Anne - 01 - Anne - 01 - Das Leben wird schöner Anne
Hause zu bleiben und Kinder und Telefon zu bewachen, dann würde sie auch täglich Frühstück und Schulbrote bekommen.
Anne griff zu und war zufrieden.
»Just a moment, sir!« Anne lief, um einem englischen Lachsangler, der sich das Leben in einem Liegestuhl auf der Sonnenterrasse angenehm machte, etwas eisgekühlte Limonade zu bringen.
»Sofort, gnädige Frau!« Eine österreichische Tänzerin ruhte sich nach einem Gastspiel in einem Osloer Sommerkabarett einige Tage auf Aurestua aus.
»Oui, monsieur, tout de suite!« Anne brachte einem französischen Schriftsteller Mokka und Zigaretten aufs Zimmer.
»Häng immer einen ,Sir’ an jeden Satz, den du mit einem Engländer sprichst, und vergiß nicht die ,gnädige Frau’ für die deutschen, österreichischen und Schweizer Damen!« hatte Jess sie ermahnt. »Es sind gerade die kleinen Höflichkeiten, die Trinkgeld einbringen. Und vergiß nicht ,monsieur’ und ,madame’, wenn du französisch sprichst.«
Anne hatte sich das gemerkt, und Jess hatte ihr auf dem Fallreep noch ein paar gute Ratschläge mitgegeben. Buchstäblich auf dem Fallreep: Er war mit einem großen Passagierdampfer zu den Kanarischen Inseln gefahren, hatte die Reise umsonst bekommen dafür, daß er jeden Nachmittag und Abend an Bord Klavier spielte. Er erhoffte sich auch allerlei Trinkgeld davon, obwohl - wie er lachend sagte - ein Pianist wohl ein ganz klein bißchen zu fein sei, als daß man ihm Trinkgeld geben könne - leider!
Anne war glücklich, daß sie nicht zu fein war.
Besonders die ausländischen Touristen waren oft freigebig mit Trinkgeldern. Und Anne sammelte geizig jedes Öre. Sie hatte in ihrem Stübchen einen kleinen verschließbaren Kasten, und täglich nahm der Inhalt an Münzen und Scheinen zu. Es sah nach soviel aus - aber Anne wußte, nach dieser Zeit kamen andere Zeiten, wo sie jeden Heller drehen und wenden würde, Zeiten mit Löchern in den Strümpfen und durchgelaufenen Schuhsohlen, Zeiten mit Wäscherechnungen und Ausgaben für Haarschneiden und vielleicht für den Zahnarzt, von der Gebühr für das Abiturientenexamen im nächsten Jahre, die sie aufzubringen hatte, ganz zu schweigen. Und alles konnte sie sich auch nicht erstricken.
Sie hatte kleine Handlehrbücher in Deutsch, Französisch und Englisch mitgenommen. Kleine Bücher mit täglichen Redewendungen. Denn das war es gerade, woran es im Sprachunterricht auf der Schule gebrach. Zuallererst paukte sie sich die üblichen Ausdrücke ein, die mit Servieren und Essen zu tun hatten, mit Reiserouten, Uhrzeiten und dergleichen. Und dann kamen die vielen kleinen Höflichkeitsformeln, durch die einem eine Sprache leichter von den Lippen floß, und die - nun ja - die Trinkgelder einbringen sollten.
Anne tat alles gründlich. Und gerade ihre kleinen Höflichkeiten machten sie unter den Gästen beliebt.
Sie hatte das Amt eines Hausmädchens angenommen. Diese Arbeit stellte sich als sehr vielseitig heraus. Morgens war sie Zimmermädchen, mittags Servierfräulein, nachmittags wieder Servierfräulein, abends wieder Zimmermädchen. Vor jedem Lunch hatte sie sechs Gastzimmer in Ordnung zu bringen, Sachen wegzuhängen, Aschenbecher und Papierkörbe zu leeren, so daß die Zimmer frisch und ansprechend aussahen, wenn die Gäste wieder nach oben kamen.
Dreimal in der Woche hatte sie Abenddienst. Sie mußte sich dann bis um dreiundzwanzig Uhr auf ihrem Flur aufhalten und herbeieilen, wenn es aus einem der Zimmer läutete.
Nach Verlauf der ersten Woche hatte sie sich so gut an die Arbeit gewöhnt, daß die schlimmste Müdigkeit überwunden war und damit auch die Verzagtheit. Klar, daß sie aushalten würde!
Es konnte geschehen, daß sie einen Augenblick an dem einen oder anderen Fenster stehenblieb und zu dem Berggipfel hinaufschaute, auf dem Jess und sie an ihrem Geburtstag gewesen waren. Und ihre Gedanken wanderten nach Süden, und das Herz wurde ihr groß und warm. Jess - lieber Jess.
Sie ging dann mit doppeltem Eifer an ihre Arbeit. Hie und da mußte sie lächeln, wenn sie an Ostern zurückdachte, als sie in diesem selben Hotel Gast gewesen war. Wenig hatte sie damals über all die Mühe und Anstrengung nachgedacht, die notwendig waren, um den Gästen das Leben so angenehm wie möglich zu machen.
Damals war sie von dem üppigen kalten Büfett zum Morgenfrühstück und zum Lunch tief beeindruckt gewesen. Es hatte so viel Spaß gemacht, mit dem Teller in der Hand um den Tisch herumzugehen und sich bald hier mit einem Bissen und
Weitere Kostenlose Bücher