Anne - 02 - Anne - 02 - Anne und Jess, der Weg ins Glück
es ein Problem werden würde, wie sie sie aufbewahren sollte. Da war ein hübscher Trägerrock von Eva gekommen. („Ich hab ihn selbst genäht, Annemädchen, ich habe ja Deine Maße! Erzähl mir nun ums Himmelswillen nicht, Du seiest dünner geworden, dann mußt Du jedenfalls tüchtig von meiner selbstgemachten Leberpastete essen!“) - da war eine reizende kleine Handtasche von Onkel Herluf, und von Jess.
Anne hielt ein kleines Päckchen in den Händen und versuchte zu raten. Mit einemmal legte sie das Päckchen aus der Hand. Sie holte sich warmes Wasser und wusch sich; sie bürstete sich das Haar, bis es glänzte und zog dann ihre Tracht an, befestigte die Filigranschließe auf der Brust, legte Schlüssel und Taschentuch in die neue Handtasche. Und so festlich geschmückt setzte sie sich hin und öffnete mit zitternden Händen Jess’ kleines Päckchen. Das Herz schlug ihr bis in den Hals hinauf.
Sie wickelte das seidige Weihnachtspapier auf - ein kleines Kästchen kam zum Vorschein. Drinnen lag noch ein Kästchen - und als sie dies öffnete, schimmerte Anne etwas Blaues entgegen.
Auf weißem Sammet ruhte ein schmaler Goldreif mit einem leuchtend blauen Aquamarin.
Anne nahm ihn heraus, und ihre Finger bebten. Sie freute sich so grenzenlos - so unbeschreiblich, so ganz furchtbar freute sie sich.
Sie wollte den Ring auf den linken Ringfinger streifen. Dann besann sie sich und setzte ihn auf den rechten.
Und dann erst nahm sie den Brief aus der Schublade. Der Brief, der gestern gekommen war, aber auf dem Umschlag die Aufschrift trug „Heiligabend zu lesen“.
Jetzt konnte sie ihn endlich aufbrechen. Hier saß sie allein, festlich gekleidet, mit Jess’ Ring am Finger. Noch hatte sie eine halbe Stunde Zeit, bis sie gehen mußte. Eine kleine, andachtsvolle halbe Stunde, ihr selbst und Jess geweiht.
„Meine kleine Anne - nun ist es wieder Heiligabend, und in Gedanken sind wir beisammen in der Erinnerung an den Tag vor einem Jahr und vor zwei Jahren. Ich sende Dir ein kleines Geschenk, das ich von dem Honorar für mein Notturno gekauft habe. Es reichte nur für einen Aquamarin. Wenn ich aber meine erste Symphonie gemacht habe, Anne, dann bekommst du einen Brillanten!
Liebste! Der Ring ist mit viel Sorgfalt ausgewählt, so bescheiden er auch ist. Blau ist Deine Farbe, Anne. Deine Augen sind so blau wie der Stein; und der Stein ist so blau wie der sommerliche Himmel, der sich über Möwenfjord wölbt! Blau wie das Meer, das wir durch die Kerbe in Deiner Mulde sahen.
Und der Ring. Anne - ist er nicht wie die Liebe selber? Der Ring ist das Symbol der Ewigkeit. Der Ring hat keinen Anfang und kein Ende. Und wenn ich darüber nachdenke, so kann ich nicht sagen, wann meine Liebe zu Dir begann. Sie ist immer dagewesen. Ich bin damit erschaffen - ich habe nur darauf gewartet, daß ich Dich träfe, damit ich sie Dir schenken konnte.
Kein Anfang, kein Ende, Anne. Denn die Liebe lebt, auch wenn die Menschen sterben. Die Liebe werden wir unsern Kindern als ein Vermächtnis hinterlassen, Du und ich. Sie wird uns überleben und wird auch sie überleben.
Es ist Heiligabend, und Du bist so weit fort. Ich streiche Dir über den Kopf, Annemädel - streichle Dein lichtes Haar. Ich fühle seine Weichheit unter meinen Fingern. Und dann neige ich mich näher zu Dir, Anne, und flüstere ganz, ganz leise in Dein Ohr - weil es Heiligabend ist und weil ich Sehnsucht habe und weil ich es einmal sagen muß: Ich liebe Dich! Jess“.
Als Anne bei Britt zu Hause in der Tür zum Rauchzimmer stand, erhob sich Schiffsreeder Sander. Aber die freundlichen Begrüßungsworte, die er sagen wollte, blieben ihm in der Kehle stecken.
Von Anne ging ein Leuchten aus. Die Gestalt war so schmal und kerzengerade. Sie trug die schöne Tracht und die schwere Schließe mit freier Selbstverständlichkeit und Sicherheit. Ihr Haar schimmerte im Schein des Kronleuchters. Ihre Haut war jung und glatt; die Wangen hatten eine feine Röte.
Und die Augen - die Augen strahlten. Glück lag über der ganzen Anne.
Herr Sander ging auf sie zu und reichte ihr die Hand. Sie gab ihm die ihre - eine starke kleine Hand mit einem glänzenden blauen Stein.
Das verschlossene Gesicht des Mannes öffnete sich zu einem Lächeln. Ein neues Licht trat in seine Augen, so als entliehen sie ein wenig Helle von Annes blauem Augenpaar. „Wie schön Sie sind, Anne“, sagte Britts Vater.
Arme reiche Britt
Es wäre ungerecht, zu behaupten, es hätte an diesem Heiligabend irgend etwas
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