Anne - 03 - Anne - 03 - Anne, der beste Lebenskamerad
abzugeben.
Anne klemmte die Mappe auf ihrem Gepäckträger fest und strampelte los.
Als sie an der Haustür klingelte, hörte sie von drinnen viele Stimmen, ein junges Mädchen im Abendkleid und mit hochrotem Gesicht öffnete die Tür.
„Ach nein - Papas Mappe — Papa, hier ist deine Mappe, komm schnell.“
Der Herr Papa erschien in der Diele. Tatsächlich, es war der Herr mit der Konfektschachtel.
„Oh, ich Dummkopf!“ stöhnte er. „Da hab’ ich das ganze Fundbüro der S-Bahn halb verrückt gemacht mit meinem ewigen Telefonieren und total vergessen, daß ich an dem Kiosk was gekauft habe - Gott segne Sie, kleines Fräulein - ach nein, stimmt ja, Sie sind ja eine gnädige Frau - Sie sollten ahnen, wie schwierig es ist, an seinem Hochzeitstag ein sorgloser und liebenswürdiger Gastgeber zu sein, wenn man dasitzt und ständig daran denken muß, daß man ein halbes Vermögen eingebüßt hat - Sie sind wirklich eine Perle! Daß Sie mir die Tasche wieder bringen! - Erlauben Sie.“ Die Hand wollte in die innere Rocktasche greifen. „Nein, nein“, rief Anne erschrocken, „das dürfen Sie nicht.“
„Darf ich nicht einen wohlverdienten Finderlohn bezahlen? Die Mappe ist für mich äußerst wertvoll, kleine Dame.“
„Nein, auf keinen Fall - ich nehme doch keine Bezahlung an, nur weil ich einem Menschen sein rechtmäßiges Eigentum zurückgebe -ich mußte sowieso hier vorbei - nein, ich nehme nichts, danke -Guten Abend, ich freue mich, daß sich die Mappe wieder gefunden hat.“ Plötzlich war Anne wieder das scheue und bescheidene Mädchen aus Möwenbucht, sie machte in der Verwirrung einen Knicks und rannte die Treppe hinunter.
Direktor Lydersen aber blieb mit offenem Munde und offener Brieftasche stehen und blickte auf den Hundertkronenschein herab, den er der jungen Norwegerin in seiner unendlichen Erleichterung als Finderlohn zugedacht hatte.
Aber die ehrliche Finderin saß schon wieder auf dem Rade, und die Gedanken wirbelten weiter!
Sie mußte so bald wie möglich den Firmennamen ins Handelsregister eintragen lassen - den Handelsbrief würde sie wohl in der nächsten Woche schon in Händen haben - und dann mußte sie so schnell wie möglich ein Schild bestellen - - ihr wurde heiß, wenn sie daran dachte, was das alles kosten würde. Ihr ganzes Betriebskapital würde für diese Anfangsausgaben draufgehen - ja, fürwahr, sie mußte Jacken verkaufen, wenn sie nicht trostlos bankrott machen sollte, fast noch bevor sie angefangen hatte.
Der sonderbare Schlachterjunge
Annes Vertretung in dem Zeitungsstand war zu Ende.
Und das war ein Glück. Denn sie hatte so unsinnig viel zu tun, daß sich ihr alles im Kreise drehte.
Die Wolle war angekommen, und im „Marie-Christine-Haus“ liefen die Stricknadeln heiß. Anne selber strickte in jeder freien Minute, und Evas Reinemachefrau hatte gefragt, ob sie nicht auch vielleicht - sie und ihre Tochter, sie würden sich gern noch was dazuverdienen.
Aber gewiß doch! Sie erhielten Wolle und Stricknadeln und Muster und Vorlagen, und dann hatte die Tochter eine Freundin, die ebenfalls - und bald saßen zwanzig Strickerinnen rundum in Kopenhagen und Umgebung und strickten für den ersten Warenvorrat in der Firma „Norwegische Strickarbeiten Inhaberin Anne Daell.
Dann kam mit Pauken und Trompeten die Gratisreklame. Die Nummer vom „Wochenblatt der Dame“, in dem der Bericht über Anne stand.
Anne las und errötete und lachte und freute sich. Wahrhaftig, Frau Askelund war großartig. Nicht eine von den unzähligen Leserinnen der Zeitschrift wurde im unklaren darüber gelassen, daß die Gewinnerin in dem großen Preisausschreiben ihr eigenes Strickwarengeschäft mit einmaligen Mustern und nur handgearbeiteten Dingen eröffnete.
Zwischen Paris und Lyngby aber flogen die Briefe hin und her. Jess nahm lebhaft an allem teil, was mit dem neuen Unternehmen seiner tatkräftigen Frau zusammenhing, und die tatkräftige Frau nahm lebhaftesten Anteil an den Fortschritten, die ihr begabter Mann auf dem dornenvollen Pfade der Kunst machte.
Anne fand auch eine Möglichkeit heraus, wie sie in diesem Monat etwas Geld verdienen konnte. Das Haus, in dem die Wohnung ihrer Schwiegereltern lag, war eine riesige, ganz moderne Mietskaserne mit acht Stockwerken. Sie ragte zwischen den älteren drei- und vierstöckigen Häusern wie ein wolkenhohes Ungetüm auf. Hier gab es nicht weniger als drei Hauseingänge, und zu jedem Eingang gehörten sechzehn Wohnungen. In diesem Hause wohnten
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