Anne - 03 - Anne - 03 - Anne, der beste Lebenskamerad
ungefähr ebenso viele Familien wie in Annes ganzem Heimatdorf zusammengenommen.
Die weitaus meisten Bewohner waren junge Ehepaare, Ehepaare mit kleinen Kindern und ohne Hausangestellte. Da kam Anne eine gute Idee: Sie heftete eines Tages in den drei Fahrstühlen Zettel an: „Anne Daell, Wohnung Nr. 11, übernimmt in den Abendstunden das Hüten von Kindern.“
Es sollte nicht lange dauern, da stellte sich auch schon die erste Kundin ein. Und Anne zog los, mit dem Strickzeug bewaffnet, und hütete kleine Kinder für zehn Kronen den Abend. Wurde es später als vierundzwanzig Uhr, dann wurde ihr jede folgende Stunde extra bezahlt.
Samstags konnte es vorkommen, daß sie von mehreren Müttern zugleich bestellt war. Handelte es sich um Säuglinge, dann war die Geschichte ganz einfach. Sie setzte sich dann zu dem größten Kind, und die Säuglinge aus den andern Wohnungen wurden im Kinderwagen dazugestellt. Es kam vor, daß sie vier Wagen mit vier schlafenden Würmern um sich herumstehen hatte, während der Sohn oder die Tochter des Hauses selber ruhig und sorglos in seinem Gitterbettchen schlief. Und der Samstag brachte auch viel Überstunden ein, denn wer säße wohl in einem vergnügten Kreis von Menschen mit der Uhr in der Hand und sagte: „Wir müssen nach Hause, die Uhr ist zwölf, wir wollen das Überstundengeld sparen?“ O nein, man blieb getrost sitzen, in dem angenehmen Bewußtsein, daß man einen „Babysitter“ hatte, und die Stundengelder rollten ein, Krone um Krone wuchs Annes Betriebskapital an.
Die Kinder schliefen, und die Größeren wachten wohl einmal auf und verlangten etwas zu trinken, und es kam wohl auch vor, daß eins weinte und nach der Mama rief. Anne tröstete, Anne holte Wasser, Anne lullte in Schlaf - und dann wurde es still in der Wohnung, und Anne saß mit Bleistift und Papier und rechnete, oder sie strickte und strickte.
So kam sie mit den meisten Bewohnern des Hauses in nähere Verbindung, und es waren noch keine vierzehn Tage vergangen, da unterhielt man sich auf den Balkons, während man die Betten auslegte, von Fenster zu Fenster, wenn die Hausfrauen die Küche auslüfteten, auf dem Trockenplatz, auf dem Spielplatz, wenn die Mütter ihre Kinder zum Essen heraufholten - im Waschkeller, begleitet von der elektrischen Waschmaschine und dem Motor:
„Ach nein, es ist nicht die Frau vom Konzertmeister Daell - es ist die Schwiegertochter, die junge Norwegerin - die den ersten Preis im ,Wochenblatt der Dame’ gewonnen hat - ach ja, natürlich habe ich das gesehen, es ist ja dort ausgestellt - übrigens werden wir es später hier auch zu sehen kriegen, sie hat es ursprünglich als Geburtstagsgeschenk für die Schwiegermutter gestrickt.“
Die arme Schwiegermutter mußte auf ihr Geschenk warten, denn es war bis zum zwanzigsten Oktober ausgestellt - und Eva hatte am fünfzehnten Geburtstag.
Aber wenn sie auch zunächst Annes Geschenk entbehren mußte, so wurde der Tag dennoch ein Fest - und er barg andere Überraschungen für sie in seinem Schoß.
„Nein, unmöglich, bist du wirklich fünf und vierzig, Eva?“ sagte Anne am Frühstückstisch, wo sie Blumen in einem Kranz um Evas Teller herumgelegt und neun Kerzen angezündet hatte. „Die vier roten sind für jedes Jahrzehnt, und die fünf grünen für die fünf einzelnen Jahre“, erklärte sie, als Eva fragte, ob die neun Kerzen das Alter ihres Geistes angeben sollten.
„Ja, soll man es glauben?“ sagte Onkel Herluf stolz. „Eines schönen Tages werde ich wohl gefragt werden, ob das meine Tochter ist, die ich dauernd im Schlepptau habe.“
„Du denkst, du machst einen Witz“, lachte das Geburtstagskind. „Es ist noch kein Jahr her, da wurde Jess mal gefragt, ob es seine Schwester gewesen sei, mit der er im Theater war! Und das war ich!“
„Danach werde ich Jess bei Gelegenheit fragen“, schmunzelte Onkel Herluf. „Ich habe dich schwer im Verdacht, daß du aufschneidest, Frauchen.“
„Wenn du dazu bloß die Gelegenheit hättest“, seufzte Eva. „Ich finde es gräßlich leer ohne Jess hier.“ Ihre Augen suchten Annes, und sie schwieg jäh. Denn Annes Augen standen voller Tränen.
„Manchmal - manchmal - da - da ist es ganz besonders schwer, daß man Jess nicht da hat“, sagte Anne mit belegter Stimme. „Wie zum Beispiel jetzt.“ Sie schluckte die Tränen hinunter und wischte sich die Augen schnell mit dem Zipfel der Serviette ab.
„Ich mach’ schon auf“, sagte sie gleich darauf. Es hatte an der
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