Anne Frasier
aber er würde auf keinen Fall hier mit einem Kater rumlaufen.
»Lange«, sagte sie.
Eine ausweichende Antwort. »Jahre?«
»Ja.«
»Wo haben Sie sich kennen gelernt?«
»Ich weiß nicht mehr. Ich habe das Gefühl, ihn schon immer gekannt zu haben. Hatten Sie das Gefühl auch schon mal bei jemand?«
Max antwortete nicht. Es war sowieso eine rhetorische Frage.
Sie erreichten den Empfang, wo Telefone klingelten, Leute redeten, Computer piepsten. Eine Prostituierte in Handschellen wurde vorbeigeführt. Ein Bettler weinte und bat darum, heimgehen und seine Katzen füttern zu dürfen.
»Nur einen Augenblick, Mr Van Horn.« Der Rezeptionist schaute hoch zu Max und seiner Begleiterin, dann sah er Max fragend an. Max zuckte die Achseln und verdrehte die Augen.
»Ist das Ihrer?«, fragte Max und deutete auf einen schwarzen Leinenkoffer mit einem Gepäckschein am Griff.
Sie nickte, und er nahm ihn.
Sein Ziel war, Dunlap aus dem Gebäude zu schaffen, bevor er sie irgendjemand vorstellen müsste. Sein Instinkt sagte ihm, dass sie zu fragil war, mit einer so schwierigen Ermittlung umzugehen, und insofern brachte es auch nichts, Zeit damit zu verschwenden, sie Leuten vorzustellen, die sie nie wiedersehen würde.
Tatortfotos waren früher schwarz-weiß, denn dann wirkten sie weniger schrecklich. Aber eine Menge Sachen waren in schwarz-weiß nicht zu sehen, deswegen machte man sie jetzt immer in Farbe. Farbe war gut. Farbe sortierte die aus, die es nicht packten.
In der Lobby wartete die Presse, die Journalisten hofften darauf, einen echten Scoop zu landen. Bisher war der Sheppard-Mord nicht öffentlich mit den früheren Morden in Verbindung gebracht worden. In Chicago gab es etwa vierhundert Mordfälle im Jahr, früher waren es achthundert gewesen. Wenn das Opfer nicht berühmt war, kümmerte sich keiner um den Mord, es erschienen bloß ein paar Zeilen im Herald . Aber wenn jemand erst einmal die Parallelen entdeckte, dann würde die Lobby voller Kamerateams sein.
Max entdeckte Alex Martin, einen recht neuen Polizeireporter. Neue hatten es nicht leicht. Die meisten Polizisten vertrauten nur wenigen Journalisten, mit denen sie arbeiteten. Die anderen ignorierten sie, deswegen war es schwer für einen Neuen, an eine Story zu kommen.
Aber Alex war jung und ambitioniert, energiegeladen und
ausdauernd. Er verfugte über so viel Energie, dass man voll« kommen erschöpft war, wenn man fünf Minuten mit ihm verbracht hatte. Er hatte da gesessen und sich Notizen gemacht, jetzt sprang er auf.
»Detective Irving!«
Er ließ sein Sandwich samt Einwickelpapier auf der Bank liegen, lief hinüber zu Max und sah aus, als wäre er direkt aus einer Gap-Anzeige gestiegen - Khaki-Hose, wilde Krawatte, Ledersandalen. »Detective Irving! Kann ich Sie einen Moment sprechen?« Er schaute in Dunlaps Richtung, eine kurze Frage ließ seine dunklen Augenbrauen zusammenwandern, aber er machte sie schnell aus als niemand Besonderes, dann konzentrierte er sich wieder auf Max.
»Wegen dieses Mordes.« Mit der Geschicklichkeit eines Verzweifelten trat er Max in den Weg. »Der Fall Sheppard. Gibt es neue Erkenntnisse?«
Max unterbrach seine Flucht zur Tür. Er atmete tief und genervt aus und wünschte sich, der Mann vor ihm würde einfach verschwinden und die Frau und ihre Katze gleich mitnehmen.
»Stimmt es, dass auch ein Baby ermordet wurde?«
»Sie wissen ganz genau, dass ich jetzt nicht über den Fall sprechen kann. Wenn ich mehr weiß, bekommen Sie eine Kopie des Berichtes.«
»Was ist mit einer Pressekonferenz? Glauben Sie, es ist groß genug, um eine Pressekonferenz zu rechtfertigen?«
»Wir halten nicht wegen jedes Mordes in Chicago eine Pressekonferenz ab.«
»Ja, aber ich dachte, dies wäre eine Ausnahme.«
»Nur wenn Sie es dazu machen. Und das tun Sie nicht, oder?«
»Sie meinen, ich würde die Sache künstlich aufblasen?«
»Genau
»Teufel, nein. Ich meine, nein. Natürlich nicht.«
»Gut.«
Max schaute nach links, er wollte Dunlap bedeuten, dass es Zeit war, zu gehen. Aber sie war nicht da. Er entdeckte sie in der Nähe der Rezeption, sie sprach mit dem Obdachlosen, an dem sie eben vorbeigegangen waren. Sie hielt den Käfig hoch, damit er ihre Katze betrachten konnte. Der Mann nickte und lächelte jetzt - zwei Tierfreunde im Gespräch. Ivy drückte dem Mann etwas in die Hand - Geld, vermutete Max -, dann eilte sie wieder zu Max herüber.
»Wie schön, dass Sie zu allen so freundlich sind«, sagte sie honigsüß, als
Weitere Kostenlose Bücher