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Anne Frasier

Anne Frasier

Titel: Anne Frasier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marinchen
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sie draußen auf dem Parkplatz waren, mitten im Lärm der Straßenauffahrt über ihnen, der Hitze, der Leute. »Ich dachte schon, es liegt an mir.«
    »Sollte ich eher sein wie Sie und allen Obdachlosen in Chicago Geld geben?«
    »Der Reporter hat bloß seine Arbeit gemacht.«
    »Ich habe weder die Zeit noch den Drang, charmant zu sein.«

5
    Langsam begriff sie, dass sie zurück in Chicago war. Ein Teil Ivys konnte immer noch nicht glauben, dass sie hier war, in der Stadt, in der so schreckliche Dinge geschehen waren, in der ihr Leben sich so dramatisch verändert hatte.
    Sie konnte spüren, wie sie durchdrehte.
    Nicht ausrasten. Nicht, so lange er da war. Nicht, so lange irgendjemand da war. Nicht ausrasten.
    Es ist das, was ich wollte, sagte sie sich. Das stimmte, aber das hieß nicht, dass es ihr nicht eine Höllenangst machte.
    Der Lärm. Das Chaos. War es immer schon so schlimm gewesen? Autos hupten, Sirenen jaulten, Busbremsen quietschten, und es stank nach Diesel, wenn die großen Gefährte von den Haltestellen losfuhren. Baustellen, mit Holzplanken überbrückte Löcher in den Bürgersteigen, Presslufthämmer. Wie hielten die Leute das aus? Wie konnten sie auch nur einen Gedanken fassen? Funktionieren?
    Der Mann neben ihr schien nichts davon zu bemerken.
    Es war zwei Uhr nachmittags. Sie fuhren durch den Stadtverkehr, Max Irving steuerte mit einer Hand. Autos vor ihnen, hinter ihnen, links und rechts. Sie versuchte, sich abzukapseln, den Verkehrslärm auszublenden, die Vergangenheit auszublenden, die plötzlich nicht mehr die Vergangenheit zu sein schien. Verwirrung. Große Verwirrung.
    »Da.« Max erschreckte sie, indem er ihr eine Akte in den Schoß warf. Sie starrte die großen, schwarzen Buchstaben an: Fall Sheppard.
    »Los. Machen Sie sie auf. Deswegen sind Sie hier, nicht wahr?«
    Ivy schlug die Akte auf.
    Das Erste, was sie sah, war ein Hochglanz-Farbabzug einer ermordeten Mutter. Eine Nahaufnahme des Gesichts. Glattes, kinnlanges blondes Haar, voller Blut, die blauen Augen weit aufgerissen. Leichenflecke auf der rechten Seite. Leichenflecke entstanden, wenn das Herz kein Plasma mehr erzeugte. Die roten Blutzellen sammelten sich wie der Satz im Wein und färbten die Haut irgendwo zwischen rot und lila. Auf dem Foto konnte jeder; der auch nur ein wenig über Kriminaltechnik wusste, sehen, dass das Opfer mehrere Stunden nach Eintritt des Todes bewegt worden war. Die Nahaufnahme des Kopfes war also, so entsetzlich sie erschien, nicht nur zum Schocken gemacht worden - obwohl Ivy recht sicher war, dass Irving sie ihr genau deshalb hingeworfen hatte, sie genau deshalb nach oben gelegt hatte. Nicht dumm. Aber sie weigerte sich, sein Spiel zu spielen. Sie klappte die Akte zu und schloss die Augen, legte den Kopf gegen die Kopfstütze.
    »Sie werden doch jetzt nicht kotzen, oder?«
    »Wenn doch, würde ich es sicher nicht vorher ansagen.«
    Sie hatte zwar noch nie ein Profil in einem echten Fall erstellt, aber sie hatte die letzten zehn Jahre damit zugebracht, Profile über jeden anzufertigen, den sie traf, von ihrem Bankberater bis zum Obstverkäufer.. Ivy hatte ihre Fähigkeiten derart entwickelt und war so gut darin geworden, Menschen nach ihrem Äußeren zu beurteilen, dass die Gefahr bestanden hatte, dass sie zur Hauptattraktion auf der alljährlichen Weihnachtsfeier der psychologischen Fakultät avancierte.
    Irving war leicht. Ein heißblütiger Detective, der ausgebrannt war, sich das aber nicht eingestehen wollte. Er hatte Humor gehabt, aber jetzt hatte er keine Zeit mehr für solchen Unfug. Probleme zu Hause. Wenn man ihn ansah, hätte ein Laie vielleicht auf eine heißblütige Blondine getippt, die er ignorierte, es sei denn, sie stritten über seinen Job und mangelnde Aufmerksamkeit. Aber Ivy hatte seine zerknitterten Klamotten und seine Zerstreutheit bemerkt - typische
    Anzeichen für Eltern, vor allem alleinerziehende Eltern, die zwei Welten verbanden: die Arbeitswelt und die Familie.
    Was sie nicht verstand, war, was er gegen sie hatte. »Warum lehnen Sie mich derart ab?« Sie öffnete die Augen und hob den Kopf. »Weil ich eine Frau bin?«
    »Das hat nichts damit zu tun.«
    »Weil ich aus Kanada bin?«
    »Ach, lassen Sie's, ich will nicht darüber reden.«
    »Aber ich.« Alles nur, um sie von der Vergangenheit abzulenken. Vorhin war sie zu müde gewesen, sich mit ihm zu streiten. Jetzt war es ihr nur recht.
    »Ich habe nichts gegen Kanadier. Ich glaube bloß, dass wir auch ohne Ihre Hilfe

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