Anne Frasier
die die gestohlenen Drogen selbst nehmen oder verkauten wollten.« »Die Frage ist, was will der Mörder mit seiner Tat erreichen?«, fragte Agent Spence. »Wenn wir das verstehen können, haben wir ein klareres Bild von diesem Kerl.«
»Seine überstrahlende Fantasie besteht darin, sich seiner missbräuchlichen Mutter zu entledigen«, sagte Ivy. »Daher schätze ich, dass seine Mutter immer noch am Leben ist. Vielleicht wohnt er sogar bei ihr.«
»Möglicherweise nimmt er von jedem Opfer ein Andenken mit und überreicht es seiner Mutter«, sagte Spence. »Eine Kette oder eine Haarspange beispielsweise. Etwas Kleines.«
»Der Kerl ist gerissen«, sagte Cantrell. »Höchstwahrscheinlich durchaus charmant. Die normalen Richtlinien, nach denen wir Menschen einschätzen, greifen nicht, wenn es um Soziopathen geht.«
»Ein Soziopath ist bereit, jemand aus egoistischen Gründen sterben zu lassen«, sagte Ivy. »Er schätzt menschliches Leben nicht.«
»Wissen Sie, was ich für wichtig halte?«, sagte Agent Scott. »In den meisten Fällen gab es keine Anzeichen eines Kampfes. Überrascht er sie so sehr, dass sie keine Chance haben? Oder ist ihre Angst zu groß, sich zu wehren?«
»In vielen Fällen wehren sich Opfer nicht, weil sie hoffen, dass sie überleben, wenn sie sich brav verhalten«, erklärte Cantrell der Gruppe. »Es ist tatsächlich selten, dass ein Opfer sich wehrt. Sehr selten. Beim Madonna-Mörder könnte das zudem durch den Überraschungsfaktor bedingt sein. Ich glaube, er greift seine Opfer an und tötet sie sofort. Die meisten Serienmörder spielen gern eine Weile mit ihren Opfern, manchmal tagelang. Und die wehren sich immer noch nicht, selbst wenn sie mit Sicherheit wissen, was ihnen bevorsteht. Die Tatsache, dass der Madonna-Mörder seine Opfer sofort umbringt, spricht für eine Art Gewissen, aus Mangel eines besseren Ausdrucks. Er will, dass sie tot sind. Es ist immer noch ein grausamer Akt - schließlich sticht er wiederholt auf sie ein -, aber sein Ziel besteht darin, zu töten, nicht zu quälen.«
»Was ist mit dieser Reynolds-Frau?«, fragte Ramirez und blätterte in den Unterlagen, er suchte nach etwas, das er zuvor gelesen hatte. »Die den Angriff noch eine Weile überlebt hat. Konnte sie der Polizei je etwas berichten?«
»Nichts Substanzielles«, sagte Agent Scott.
»Blöd.«
»Was haben wir noch?«, fragte Irving und drängte das Gespräch in eine produktivere Richtung.
Ivy bemerkte, dass sie den Atem angehalten hatte. Schweiß lief ihr den Rücken herunter. Sie begann eine Atemübung. Ein, ein. Aus, aus. Ihre Muskeln entspannten sich. Ihr Herzschlag verlangsamte sich.
»Wir haben alle Informationen in das Violent Criminal Apprehension Program des FBI eingegeben, aber bislang ist nichts dabei rausgekommen.« Agent Scott sprach von einer Computerdatenbank, die es Polizisten im ganzen Land erlaubte, Informationen miteinander zu teilen.
»Manchmal unternehmen Serienmörder Reisen und begehen ähnliche Verbrechen in anderen Ecken der Vereinigten Staaten«, fuhr Scott fort. »Wenn so etwas passiert, kann ein Fall als Einzelfall betrachtet werden, obwohl er das gar nicht ist. Es ist wichtig, Informationen nicht nur innerhalb Chicagos und der angrenzenden Gebiete zu teilen, sondern im ganzen Land.«
Der Toxikologe entschuldigte sich. Nach einer Reihe gemurmelter Verabschiedungsbekundungen ging das Gespräch praktisch ohne Pause weiter.
»Wurden irgendwelche Beweise am Tatort gefunden?«, fragte Cantrell.
»Blutspuren, Fingerabdrücke, Fasern, Haar, irgendetwas?«, fragte Spence.
»Nichts. Er hat nur wieder seine Visitenkarte hinterlassen - die verdammte Schneekugel mit der Spieluhr«, sagte
Abraham. »Die werden in irgendeiner Fabrik in Bangladesch zu Tausenden gefertigt, und es gibt sie in fast jedem Supermarkt des Landes.«
»Wir müssen noch versuchen, herauszukriegen, ob in einem Laden eine ungewöhnlich große Partie davon verkauft wurde«, sagte Irving.
»Spielt sie immer dasselbe Lied?«, fragte Spence.
»>Hush Littie Baby<«, murmelte Ivy.
»Als meine Enkelin geboren wurde, hat ihr jemand einen Teddybären geschenkt, der das verdammte Lied spielte«, sagte Abraham. »Den habe ich ihr weggenommen und verbrannt.«
Das Gespräch wandte sich nun einem anderen Aspekt der Angelegenheit zu: dem Eindringen. Wie gelangte er in die Gebäude hinein? Sie waren sich einig, dass jeder in ein Gebäude hineinkam, wenn er lange genug an der Tür wartete, bis ein Bewohner oder Besucher
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