Anne Gracie
Einzelheiten. Er fühlte sich jedoch ganz
und gar nicht aufgewühlt oder so, als wären alte Wunden wieder aufgerissen
worden. Vielmehr fühlte er sich ... geheilt.
Als er ihr
eben alles erzählt hatte, in enger Umarmung mit ihr, da hatte er plötzlich
erkannt, wie jung er damals gewesen war. Und plötzlich verstand er, dass es
keine Liebe gewesen war, die er für Anthea empfunden hatte, allenfalls
Verliebtheit, Verblendung.
Liebe war
es auf keinen Fall gewesen, nicht einmal annähernd.
„Ach,
Harry“, flüsterte Nell. „Ich liebe dich so sehr ...“
Er sah sie
an. Er konnte die Worte nicht aussprechen, die sie hören wollte; sie blieben in
seiner Kehle stecken. Dort würden sie auch bleiben, das wusste er, bis er
irgendetwas für sie tun konnte, bis er ihr mehr geben konnte als nur Worte.
Sie liebten
sich erneut, bedächtig, zärtlich und bittersüß. Die unausgesprochenen Worte
standen stumm zwischen ihnen.
16. Kapitel
ooper legte letzte Hand an Nells Frisur.
Sie hatte wieder etwas Neues ausprobiert und einzelne Strähnen zu dünneren
Zöpfen geflochten, die sie dann wie ein Krönchen rund um Nells Kopf drapiert
und festgesteckt hatte.
Nell
betrachtete sich staunend im Spiegel. Wer war diese elegante junge Frau? Ganz
sicher nicht Nell, das ungestüme junge Mädchen, das in Ställen groß geworden
war, mit ständig gerafften Röcken, damit sie nicht durch den Schmutz
schleiften, und ungebändigtem, offenem Haar.
Lady Helen
vielleicht? Nein, sie hatte sich nie wie eine Lady Helen gefühlt. Lady Nell
hingegen ...
„Sie
leuchten ja förmlich, Mylady“, stellte Cooper fest. „Sie sehen wunderschön
aus.“
„Vielen
Dank, Cooper, Sie haben wahre Wunder bewirkt.“
„Das kann
ich nur begrenzt, Mylady, ich nehme an, den Rest bewirkt die Liebe.“
Nell
errötete. Harry hatte sie in der vergangenen Nacht mit einer Zärtlichkeit
geliebt, die sie hatte dahinschmelzen lassen. Ganz früh am Morgen hatten sie
sich dann noch einmal geliebt, dieses Mal mit einer stürmischen Leidenschaft,
bei der sie auch ihre letzten Hemmungen endgültig abgelegt hatte.
Er hatte
ihr noch immer nicht gesagt, dass er sie liebte. Körperlich fühlte sie sich
sehr geliebt, aber sie sehnte sich danach, endlich die Worte von ihm zu hören.
Immer öfter erinnerte sie sich an das, was er ihr damals gesagt hatte: Ich
biete Ihnen nicht den Inbegriff der Romantik an.
Sie wollte
auch nicht den Inbegriff der Romantik. Nur Liebe, Harrys Liebe.
Es klopfte
an der Tür.
„Herein“,
rief sie.
Ein Lakai
trat ein und verneigte sich. „Man hat mich geschickt, damit ich Sie zum
Frühstückssalon führe, Mylady.“
„Vielen
Dank. Könnten Sie bitte eben Mr Morant Bescheid sagen?“
Der Lakai
runzelte die Stirn. „Er ist schon längst weg, Mylady.“
„Ist er schon unten
beim Frühstück?“, fragte sie verwirrt. So etwas sah ihm gar nicht ähnlich.
„Nein,
Mylady, er hat bereits vor einer Stunde gefrühstückt. Gleich danach ist er nach
London geritten.“
„Wie
bitte?“ Sie
starrte ihn ungläubig an. Warum hatte er das getan, ohne ihr vorher Bescheid zu
sagen? Sie konnte sich nur einen Grund denken – diesen Brief. Nell riss die
Verbindungstür auf und eilte in sein Zimmer. Sie suchte, doch den Brief konnte
sie nirgends finden. Auch hatte Harry nirgends eine Nachricht für sie
hinterlassen, um zu erklären, warum er nach London geritten war, ohne sie
darüber zu informieren.
Eine unheilvolle
Vorahnung stieg in ihr auf. Sie drehte sich zu dem Lakaien um. „Bringen Sie
mich bitte umgehend zu Mr Gabriel Renfrew.“
„Er ist im
...“
„Bitte,
führen Sie mich einfach zu ihm. Beeilen Sie sich.“ Sie kannte sich in dem
riesigen Haus noch nicht aus.
Sie gingen
den Flur entlang, die Treppe hinunter und durch weitere sich
Weitere Kostenlose Bücher