Anne Gracie
Wildpferde hätte Tante Maude von einem
Ball fernhalten können. Doch Harry wusste, dass sie seinetwegen schon viel auf
sich genommen hatte. Seufzend bot er ihr seinen Arm. „Also gut, aber nur bis
zum Eingang.“
„Unsinn.“
Seine Tante bemühte sich, sich ihren Triumph nicht anmerken zu lassen. „Du hast
es eindeutig mit der Galle und bist nicht auf der Höhe. Du musst das Heilwasser
trinken.“
„Das muss
ich nicht“, brauste er auf. „Das Zeug ist schmutzig, und ich kann diese
Hallen voller alter Klatschbasen und ...“ Er brach ab und fuhr mit fester
Stimme fort: „Ich begleite dich bis zum Eingang, aber keinen Schritt
weiter.“
Er war
schrecklich schlecht gelaunt. In den vergangenen drei Tagen hatte er alles
getan, was Tante Maude von ihm verlangt hatte – sich herausgeputzt wie eine
Schneiderpuppe, Spaziergänge unternommen und mit irgendwelchen Töchtern und
deren Eltern geplaudert. Er war Leuten gegenüber, die er eigentlich niemals
wiedersehen wollte, so liebenswürdig wie möglich gewesen. Und das Ganze war
eine vollkommene Zeitverschwendung gewesen. Er war seinem Ziel, eine Ehefrau zu
finden, keinen Deut näher gekommen als bei seinem letzten Besuch in Bath.
Tatsächlich war die Situation inzwischen noch hoffnungsloser, denn damals hatte
er nicht jedes Mädchen, dem er begegnete, mit ihr verglichen.
Nell, Lady
Helen Freymore, mit ihrem zarten makellosen Teint und ihrer honigdunklen
Stimme. Keine andere Frau, die er kannte, hatte einen so klaren, direkten
Blick. Keine verfügte über diese in sich ruhende Selbstbeherrschung. Und keine
konnte ... so ein Feuer in ihm entfachen.
Doch Nell
hatte ihn nicht gewollt. Sie schenkte lieber irgend einer reichen, zweifellos
verwöhnten alten Dame in London Tee ein, als mit ihm verheiratet zu sein. Und
Harry war meilenweit entfernt in Bath, suchte nach einem Ersatz für sie und
wusste doch, er würde keine finden, die ihn so erregen würde wie sie.
Auch Tante
Maude war nicht gerade bester Laune. „Du musst aber mit hineinkommen!“,
verlangte sie. „Ich habe Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um dir
heiratsfähige Mädchen aus der Mittelschicht auszusuchen, aber du bist so
gallig, dass du ihnen nicht einmal eine Chance gibst!“
„Ich habe
ihnen eine Chance gegeben“, stellte er richtig. „Es ist nicht meine
Schuld, dass sie nicht so waren, wie ich es mir gewünscht hätte.“
Sie
versetzte ihm einen leichten Klaps auf die Hand. „Unfug! Ich hatte drei
bezaubernde Mädchen für dich gefunden, aber du fandst, sie wären dumm ...“
„Sie sind
dumm.“
„Hübsche
Mädchen brauchen nicht klug zu sein, du schrecklicher Junge!“ Sie
verdrehte die Augen und atmete tief durch. „Aber da ich eine so liebevolle
Tante bin, habe ich dir dann auch noch zwei intelligentere, lebhafte und
trotzdem noch bemerkenswert attraktive Mädchen präsentiert – die fandst du aber
langweilig.“
„Sie waren
auch langweilig.“
„Woher
willst du das wissen? Du hast schließlich mit beiden kaum ein Wort
gewechselt!“
„Doch, das
habe ich. Die Schwarzhaarige mochte Katzen, hasste Hunde und hatte Angst vor
Pferden. Und die Blonde redete in einer Tour über Poesie und schwärmte mir
endlos etwas von diesem Byron vor.“ Er schnaubte, was ihm noch einen Klaps
seiner Tante eintrug.
„Jedes
weibliche Wesen in England ist in Byron verliebt, du Banause! Er ist gerade in
Mode! Der Fehler liegt nicht bei den Mädchen, sondern allein bei dir. Man
könnte fast glauben, du willst gar nicht heiraten, aber da das eindeutig nicht
stimmt, gibt es nur eine Erklärung für dein Verhalten – du bist gallenkrank.
Und dagegen hilft ganz sicher das Heilwasser.“
Harry
machte ein finsteres Gesicht. „Ich begleite dich hinein, aber ich
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