Anne Gracie
trinke keinen
Schluck von diesem Zeug“, knurrte er. „Und wenn du
jetzt nicht davon aufhörst, kannst du den restlichen Weg am sehr starken Arm
deines äußerst tüchtigen Lakaien zurücklegen.“ Er zeigte auf besagten
Lakaien, der ihnen schweigend folgte. Seine Tante wirkte verschnupft, sagte
aber nichts mehr.
Ihr
Erscheinen in der Trinkhalle löste reges Interesse unter den Anwesenden aus.
Harry fühlte sich dadurch nicht im Geringsten geschmeichelt, er war hier nun mal
der einzige Mann unter siebzig. Er richtete den Blick starr auf die Ruhebänke
und führte seine Tante durch die Halle. Er würde sie irgendwo dort absetzen und
dann sofort wieder gehen!
Leider ging
das nicht so schnell, wie er dachte, da seine Tante alle paar Schritte stehen
blieb, um Bekannte zu begrüßen. Endlich hatte er einen Platz für sie bei einer
ihrer Freundinnen gefunden und ihr ein Glas mit dem widerlichen Wasser
organisiert.
Er wollte
gerade gehen, als er hinter sich eine Stimme hörte. „Lady Helen! Was für ein
unbeholfenes Geschöpf Sie doch sind!“
Lady
Helen? Harry fuhr
herum und lief? den Blick durch die Halle schweifen. Sie war es tatsächlich,
Nell.“ Was zum Teufel machte sie hier? Sie sollte doch in London sein!
Eine
elegant gekleidete, in ein enges Korsett geschnürte Frau mit rotem Gesicht
sprach so laut mit ihr, als wäre sie schwer von Begriff. „Jetzt stehen Sie
nicht so herum, Mädchen, heben Sie ihn gefälligst auf!“
Er
beobachtete, wie Nell sich mit ihrer gewohnten Anmut bückte und einen Schal vom
Boden aufhob. Sein Mund wurde ganz trocken. Sie sah unverändert aus –
wunderhübsch. Ein wenig dünner vielleicht. Sie schüttelte den Schal aus,
begutachtete ihn prüfend und reichte ihn der Frau.
Sie sah
Harry nicht an, warf nicht einmal einen Blick in seine Richtung, aber er war
sich sicher, dass sie wusste, dass er da war. Der Auftritt seiner Tante konnte
ihr unmöglich entgangen sein.
„Nein,
nein, Sie törichtes Mädchen!“ Die Frau wich übertrieben angewidert
zurück. „Er ist schmutzig. Ich kann doch keinen schmutzigen Schal
umlegen!“ Sie sah sich mit Leidensmiene in der Halle um, als suchte sie
den Beistand des Publikums.
Nell wandte
ihm das Profil zu. Mit erhobenem Kopf nahm sie den Tadel entgegen.
Wie konnte
sie nur so ruhig bleiben? Und was fiel dieser Frau ein, in so einem Ton mit ihr
zu sprechen? Am liebsten hätte er die rotgesichtige Kuh erwürgt.
Noch lieber
hätte er Nell von dort weggeholt, um sie zurück nach Firmin Court zu bringen,
mit ihr durch den Wald reitend ... Nell sagte leise etwas zu der aufgebrachten
Frau.
„Nein, er
ist keinesfalls sauber, Lady Helen“, widersprach die Frau schrill und
verächtlich. „Ich bin überrascht, dass Sie so niedrige Ansprüche haben. Gehen
Sie nach Hause und holen Sie mir einen anderen.“ Sie wedelte mit den
Händen, als wäre Nell ein Kind oder ein Hund. „Stehen Sie nicht so da, beeilen
Sie sich, Lady Helen! Ich fange an, ein wenig zu frieren.“
Harry
knirschte mit den Zähnen, als Nell den Schal ruhig zusammenfaltete und die
Halle verlief?.
Er wollte
ihr gerade folgen, da hielt seine Tante ihn am Ärmel fest. „Du kannst jetzt
nicht gehen, das hier ist viel zu faszinierend! Das ist diese schreckliche
Person, von der ich dir neulich erzählt habe, erinnerst du dich?“
Nell kommt
ja wieder, sagte er sich. Sie holt nur einen anderen Schal für dieses
Ungeheuer. Er würde mit ihr sprechen, wenn er sich etwas beruhigt hatte.
Eine Sekunde lang hatte er diese Frau wirklich erwürgen wollen. So mit Nell zu
reden! Seine Tante zog ihn neben sich auf die Bank.
Die rotgesichtige
Frau strich mit zufriedener Miene ihre Röcke glatt und sah sich selbstgefällig
um. Sie entdeckte Harry, und ihr Gesichtsausdruck veränderte sich. Ohne
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