Anne Gracie
Ethan sah hinunter. „Ja, Freckles, du
hast es gut, für dich ist das Leben einfach.
Zwei Häuser, in denen du wohnst, zwei Küchen, aus denen immer
etwas für dich abfällt. Und so etwas nennt man nun ein Hundeleben.“ Er
faltete das Blatt Papier zusammen und steckte es in seine
Brusttasche. Er ließ seine Schreibversuche nie da liegen, wo jeder sie sehen
konnte. „Komm, Hund, es wird dunkel. Ich bringe dich zurück ins Pfarrh...“
Er verstummte. Das Pfarrhaus ... Ein Vikar war doch so etwas wie ein Gelehrter,
oder?
Man konnte
ja mal fragen ...
Er pfiff
nach Freckles und machte sich mit zügigen Schritten auf den Weg zum Pfarrhaus.
Aggie
öffnete die Tür und begrüßte ihn mit großer Herzlichkeit. „Eine schöne Tasse
Tee, Mr Delaney?“, bot sie an und griff bereits
nach der Teedose. Es war mittlerweile fast zu einem Ritual geworden; Ethan
brachte Freckles abends zurück ins Pfarrhaus, trank eine
Tasse Tee mit der alten Frau, tauschte mit ihr die Neuigkeiten des Tages aus
und ging wieder nach Hause.
„Hm, jetzt
nicht, Aggie, vielen Dank“, lehnte Ethan ein wenig verlegen ab. „Wäre es
vielleicht möglich, den Vikar zu sprechen?“
„Den
Vikar?“, wiederholte Aggie überrascht. Darum hatte er noch nie gebeten.
„Natürlich, Sir, ich frage eben nach.“ Einen Moment
später war sie wieder zurück. „Gehen Sie ruhig durch, Sir, er erwartet
sie.“
Sie schob
ihn in ein schäbiges, aber gemütliches Arbeitszimmer, in dem ein helles
Kaminfeuer prasselte. Überall waren Bücher, in den Regalen
an den Wänden, auf den Tischen und aufgestapelt neben dem Sessel des Vikars. Es
gab auch ein schönes Schachspiel mit zierlich geschnitzten Figuren aus Ebenholz
und Elfenbein. Ethan spielte gerne Schach.
Der Vikar
erhob sich aus dem abgenutzten Ledersessel, als Ethan eintrat. „Willkommen, Mr
Delaney“, sagte er mit milder priesterlicher Stimme.
Er war ein
dünner, gebeugter Mann in den Siebzigern, mit einem schlohweißen Haarkranz.
Laut Aggie war er einmal verheiratet gewesen, hatte seine Frau aber im Kindbett
verloren und nie wieder den Mut gefunden, noch einmal zu heiraten.
Ethan schüttelte
ihm die Hand. Es hätte keinen größeren Gegensatz geben können zwischen seiner
eigenen großen, schwieligen Pranke und der zerbrechlich wirkenden, eleganten
weißen Hand des Geistlichen.
Der Vikar
bot ihm einen Stuhl an, und als sie beide Platz genommen hatten, fragte er:
„So, Mr Delaney, wie kann ich Ihnen behilflich sein?“
„Ich gehöre
nicht der Kirche von England an“, platzte er heraus. „Ich bin von Geburt
an Katholik, aber nicht religiös.“ Er sah den Vikar an. „Macht das etwas
aus?“
Der alte
Mann lächelte. „Mir nicht. Ich bin für alle Kinder Gottes da.“
Ethan
verzog das Gesicht. „Ich bin mir nicht so sicher, ob ich mich als Kind Gottes
bezeichnen würde, Vater. Ich habe verda... ziemlich viel Schlimmes im Leben
getan. In den Jahren in der Armee.“
„Sie sind
dennoch ein Kind Gottes“, erwiderte der Vikar freundlich.
„Vielleicht.“
Ethan rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum. „Die Sache ist die – ich
weiß, dass katholische Priester nicht verraten dürfen, was man ihnen anvertraut
hat. Mit protestantischen Pfarrern kenne ich mich da nicht so aus, ich meine
...“
Der alte
Mann beugte sich nach vorn. Seine Augen waren tief liegend und von einem
verblassten Blau, es waren die Augen eines Mannes, der die Welt schon viele
Jahre betrachtet hatte. „Sind Sie gekommen, um zu beichten, Mr Delaney?“
Ethan sah
ihn entsetzt an. „Um Gottes willen, nein!“
Der Vikar
lachte und lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Worum geht es dann? Ich
verspreche Ihnen, Stillschweigen darüber zu bewahren, solange Sie nicht gegen
das Gesetz verstoßen haben.“
„Nein, um
so
Weitere Kostenlose Bücher