Anne Gracie
etwas geht es nicht.“ Ethan sah sich im Zimmer um. „Gehe ich recht in
der Annahme, dass Sie ein gelehrter Mann sind, Vater?“
„Nennen Sie
mich Vikar, oder einfach Mr Pigeon. Ja, ich war früher einmal so etwas wie ein
Gelehrter, aber das ist viele Jahre her.“
Ethan holte
tief Luft. „Nun, ich bin es nicht, Vikar – gelehrt, meine ich. Ganz und gar
nicht. Ich bin nie zur Schule gegangen und habe nie Lesen und Schreiben
gelernt, bis ich im vorigen Jahr eine Dame gebeten habe, es mir
beizubringen.“
„Das ist
schön. Für so etwas ist es nie zu spät.“
„Hoffentlich
nicht“, gab Ethan inbrünstig zurück. „Mein Problem ist nur, sie ist in
ein anderes Land gezogen, und obwohl ich ganz gut Lesen gelernt habe, hapert es
noch sehr mit dem Schreiben und weit mehr mit der Rechtschreibung.“
Der alte
Mann nickte. „Ich verstehe. Und was möchten Sie nun von mir?“
Ethan fuhr
sich mit dem Finger in den Kragen. „Ich frage mich, ob Sie wohl sehr viel
dagegen hätten, mir ab und zu bei meiner Rechtschreibung
zu helfen?“ Er sah ihm fest in die Augen. „Ich möchte nicht, dass jemand
anderes von meinem kleinen Problem erfährt, verstehen Sie?“
Der alte
Mann schwieg.
„Ich
bezahle auch dafür“, beteuerte Ethan. „Ich bin ein armer, einfacher Ire –
und dafür schäme ich mich nicht –, aber ich hoffe, es auf der Welt einmal zu
etwas zu bringen, und ich möchte dann zwischen lauter gebildeten Menschen nicht
wie ein Dummkopf dastehen.“
„Niemand
muss sich dafür schämen, dass ihm Bildung verweigert wurde, Mr Delaney“,
erwiderte der Vikar. „Ich bin sicher, dass Sie weit davon entfernt sind, ein
Dummkopf zu sein.“ Er lehnte die Fingerspitzen seiner Hände gegeneinander
und betrachtete sie eine Weile nachdenklich. „Mir ist aufgefallen, dass Sie sich
mein Schachspiel angesehen haben, als Sie eingetreten sind. Spielen Sie
Schach?“
Ethan
nickte. „Ein wenig.“
„Würden Sie
eine Partie mit mir spielen, Mr Delaney?“
Ethan kam
zu dem Schluss, dass der alte Mann seine Bitte ablehnen würde und deswegen jetzt
das Thema wechselte. „Gern, Sir“, erwiderte er steif. Er hatte sich wohl
geirrt, als er den Vikar für einen aufgeklärten Mann gehalten hatte. Offenbar
hielt er es immer noch mit jener sozialen Klasse, die glaubte, ein Mensch
sollte nicht mehr Bildung erhalten, als sein Rang das zuließ. Ethan war in
seinem Leben schon einigen Vertretern dieser Art begegnet, vor allem in der
Armee.
Er holte
das schwere Schachbrett, während der Vikar einen kleinen Tisch leer räumte,
und stellte es auf die Tischplatte.
„Sie fangen
an“, sagte der Vikar und Ethan machte achselzuckend seinen ersten Zug. Er
war immer noch verärgert über die sanfte Zurückweisung und beschloss, es diesem
alten Mann mit seinen weichen, weißen Händen, die wahrscheinlich noch nie im
Leben harte körperliche Arbeit geleistet hatten, mal so richtig zu zeigen.
Das war
allerdings gar nicht so einfach. Der Vikar hatte einen messerscharfen Verstand
und ging trotz seiner ruhigen Art beim Spiel buchstäblich über Leichen, womit
er Ethan mehr als nur einmal überraschte. Langsam schwand dessen Ärger, und
das Spiel nahm ihn immer stärker gefangen. Zwei Stunden später endete die
Partie mit einem Patt.
Der Vikar
lehnte sich zufrieden seufzend in seinem Sessel zurück. „Das
war die beste Partie, die ich seit Jahren gespielt habe, mein Junge. Damit ist
die Sache mit dem Honorar geklärt.“ Ethan sah auf. „Mit welchem
Honorar?“
„Für Ihre
Unterrichtsstunden. Sie sagten, Sie wären bereit, dafür zu bezahlen.“
„Ja, aber
ich dachte ...“
„Sie haben
natürlich recht. Normalerweise würde ich so etwas umsonst tun. Es ist schon
lange her, seit ich etwas so Nützliches getan habe, und es gefällt mir, Schüler
zu haben. Doch
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