Anne Gracie
gebaut, als ob die
Aussicht auf andere Häuser schöner wäre als der Blick auf Felder, Bäume und
Himmel.
Er
schüttelte den Kopf. Er wollte niemals in einer Stadt leben. Es war schon
schlimm genug, in einer Kleinstadt wie Bath eingesperrt zu sein – ein Leben in
London würde er regelrecht hassen.
Ich
begleite Mrs Beasley nach London. Nichts von dem, was Sie sagen oder tun, kann
mich davon abbringen.
Harry
konnte es einfach nicht verstehen. Er hätte schwören können, dass eine Frau wie
Nell, die Pferde und Hunde liebte, seine Einstellung zum Stadtleben teilen
würde. Er erinnerte sich noch, wie sie an jenem ersten Tag im Wald beinahe
andächtig ihr Gesicht dem Regen und dem Himmel zugewandt hatte.
Und dennoch
schien sie wild entschlossen, im überfüllten, schmutzigen London zu leben.
Ich muss
nach London fahren.
Müssen?
Warum? Was war so besonderes an London?
Harry
seufzte. Er verstand die Frauen einfach nicht. Im Grunde hatte er sie noch nie
verstanden. Und noch nie hatte er so intensiv um eine Frau geworben – nicht
nach so wenig Ermutigung ihrerseits, zumindest in Worten. Ihre Taten sprachen,
wie er einräumen musste, eine andere Sprache. Aus Nells Mund kam spröde
Zurückweisung, doch wenn er sie küsste, ließen ihre Lippen ihn wissen, dass sie
ihn wollte. Aber noch lieber wollte sie offenbar nach London gehen.
Warum
konnte er das nicht einfach akzeptieren? Es war würdelos, eine Frau, die ihm
eine Abfuhr erteilt hatte, weiterhin zu umwerben. Schließlich war er ja nicht
in sie verliebt ... Sie war für ihn nur so ... vollkommen gewesen.
Doch warum
war sie eigentlich so vollkommen? In fast jeder Hinsicht war sie ganz anders
als seine Vorstellung von einer idealen Ehefrau.
Hatte Tante
Maude vielleicht doch recht?
Hatte er
sich so auf Nell versteift, weil er beweisen wollte, dass er die Tochter eines
Earls heiraten konnte? War es wirklich wegen dieser Geschichte vor all den
Jahren mit Anthea?
Sicherlich
nicht. Oder?
Zum ersten
Mal seit Jahren lenkte Harry seine Gedanken ganz bewusst auf Anthea ... die
Frau, die ihm gezeigt hatte, wie es sich anfühlte, verliebt zu sein.
Lady Anthea
Quenborough war damals einundzwanzig Jahre alt gewesen, der Stolz der gehobenen
Gesellschaft und das schönste Mädchen,
das Harry je im Leben gesehen hatte. Mit gerade Anfang zwanzig hatte er sich
zum ersten Mal Hals über Kopf verliebt – blindlings, leidenschaftlich,
rettungslos.
Lady Anthea
war zwar nur ein paar Monate älter als Harry, ihm an Erfahrung jedoch
Jahrzehnte voraus, aber das hatte er erst später erkannt.
Er war
damals noch neu in London, und obwohl er viele junge Männer aus der gehobenen
Gesellschaft kannte, war sie die erste richtige Dame, die er kennenlernte.
Lady Anthea
war ein Diamant reinster Güte, aristokratisch, reich und verwöhnt; die
verhätschelte Tochter eines in sie vernarrten Vaters und Schwester von
Brüdern, die sie eifersüchtig beschützten. Einige der angesehensten Männer der
Gesellschaft umschwärmten sie, umwarben sie und wetteiferten um ihre Gunst.
Zu Harrys
fassungsloser Freude hatte sie ihn gewählt.
Es war eine
stürmische Romanze, binnen vierzehn Tagen hatte sie ihn in ihr Bett gelassen.
Sie war seine Erste gewesen.
Das
Beispiel seiner Mutter vor Augen, hatte Harry mit den Dorfmädchen immer nur
vorsichtigen Umgang gepflegt – er hatte mit ihnen geflirtet, sie geküsst und
mit ihnen geschmust, aber er hatte nie so weit die Beherrschung verloren, dass
er sie kompromittiert hätte. Ein Mädchen zu kompromittieren bedeutete für
Harry, sie hinterher zu heiraten, und er hatte noch kein Interesse an einer
Ehe.
Und dann
war er Lady Anthea begegnet ... zierlich und hinreißend, mit
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