Anne in Kingsport
lächelnd.
»Und ich muss es immer noch«, lachte Diana. »Ganze dreimal letzte Woche. Natürlich«, fügte sie neckend hinzu, »reibe ich danach meine Hände immer mit Zitronensaft ab und ziehe Ziegenlederhandschuhe an.«
Tante Atossa rümpfte die Nase.
»Das hat du bestimmt wieder aus einer dieser albernen Zeitschriften, die du dauernd verschlingst. Dass deine Mutter dir das erlaubt! Aber sie hat dich von klein auf verwöhnt. Wir waren von Anfang an der Meinung, dass sie nicht die richtige Frau für George ist.«
Tante Atossa seufzte tief, so als hätten sich alle Vorahnungen hinsichtlich George Barrys Frau hinreichend und in düsterer Weise erfüllt.
»Ihr geht schon?«, fragte sie, als die Mädchen aufstanden. »Nun, es macht wohl keinen großen Spaß, sich mit einer alten Frau wie mir zu unterhalten. Es ist wirklich schade, dass die Jungen nicht da sind.«
»Wir sind auf dem Weg zu Ruby Gillis«, erklärte Diana.
»Oh, als Ausrede kommt einem natürlich alles gelegen«, sagte Tante Atossa liebenswürdig. »Kommt eben mal hereingeschneit und seid wieder verschwunden, bevor ihr ordentlich guten Tag gesagt habt. Das sind wohl Collegemanieren. Es wäre klüger, ihr hieltet euch von Ruby Gillis fern. Der Arzt sagt, Schwindsucht wäre ansteckend. Ich habe mir sowieso immer gedacht, Ruby würde sich was holen, wo sie sich letzten Herbst in Boston herumgetrieben hat. Leute, die sich nicht damit zufrieden geben und zu Hause bleiben, holen sich eben immer was.«
»Leute, die nicht verreisen, werden auch krank. Manche sterben sogar«, sagte Diana ernst.
»Dann haben sie sich aber selbst nichts vorzuwerfen«, erwiderte Tante Atossa triumphierend. »Ich habe gehört, dass du im Juni heiratest, Diana.«
»Daran ist kein Wort wahr«, sagte Diana und wurde rot. »Naja, schiebe es nicht so lange auf«, sagte Tante Atossa viel sagend. »Deine Schönheit ist bald verwelkt - von Kopf bis Fuß. Die Wrights sind eben alle so schrecklich unbeständig. Du solltest einen Hut tragen, Miss Shirley. Auf deiner Nase sind schändlich viele Sommersprossen. Meine Güte, und was für rote Haare du hast! Naja, wir sind wohl alle, wie uns der Herrgott geschaffen hat! Richte Marilla Cuthbert Grüße von mir aus. Sie hat mich noch kein einziges Mal besucht, seit ich in Avonlea bin, aber man soll ja nicht klagen. Die Cuthberts haben sich eben schon immer für was Besseres gehalten.«
»Ist sie nicht grauenvoll?«, keuchte Diana, als sie den Weg hinunterflohen.
»Sie ist noch schlimmer als Miss Eliza Andrews«, sagte Anne. »Aber stell dir ein Leben mit dem Namen Atossa vor! Würde das nicht jeden verbittern? Sie hätte sich ausmalen sollen, sie hieße Cordelia, das hätte ihr vielleicht gut getan. Mir jedenfalls hat es geholfen, als mir der Name Anne mal nicht gefiel.«
»Josie Pye wird genauso werden wie sie, wenn sie älter wird«, sagte Diana. »Josies Mutter und Tante Atossa sind nämlich Kusinen. Mann, ich bin heilfroh, dass wir es hinter uns haben. Sie ist so boshaft - an allem und jedem hat sie etwas zu mäkeln. Es gibt zahllose Geschichten über sie.«
»Apropos Geschichten, Diana«, bemerkte Anne in einem vertraulichen Ton, »wusstest du schon, dass ich in letzter Zeit überlege, ob ich nicht eine Kurzgeschichte schreiben soll -etwas, das gut genug wäre, um veröffentlicht zu werden?«
»Sicher könntest du das«, sagte Diana, nachdem sie diese erstaunliche Nachricht verdaut hatte. »Du hast doch schon damals in unserem Geschichtenklub wirklich spannende Sachen geschrieben.«
»Hm, so was meinte ich eigentlich nicht«, lächelte Anne. »Ich habe in letzter Zeit öfter darüber nachgedacht, aber ich habe fast Angst, es auszuprobieren, denn wenn es danebengeht, dann wäre das einfach zu niederschmetternd.«
»Priscilla hat mal erzählt, dass Mrs Morgans erste Erzählung samt und sonders abgelehnt wurde. Aber dir würde das bestimmt nicht passieren, Anne, denn die Herausgeber heutzutage haben ein besseres Gespür dafür.«
»Margaret Burton, ein Mädchen aus einem höheren Semester am Redmond, hat im letzten Winter eine Erzählung verfasst, die dann in Die Kanadische Frau abgedruckt wurde. Ich glaube, eine ähnlich gute würde ich auch zu Stande bringen.«
»Und du würdest sie auch an Die Kanadische Frau schicken?«
»Vielleicht würde ich es zuerst bei einer der größeren Zeitschriftenversuchen. Das hängt ganz von der Geschichte ab.«
»Wovon handelt sie denn?«
»Das weiß ich noch nicht. Ich brauche einen guten
Weitere Kostenlose Bücher