Anne in Windy Willows
deprimiert die Schultern hängen. »Hoffentlich bereue ich morgen nicht, dass ich Ihnen das alles anvertraut habe!«, murmelte sie nach einer Weile.
»Wieso sollten Sie?«, fragte Anne erstaunt.
»Ist es nicht so, dass man jemanden hasst, wenn er einem ein Geheimnis entlockt?«, sagte Nora hoffnungslos. »Aber eine Hochzeit macht einen wohl besonders rührselig. Trotzdem, das ist mir egal, mir ist alles egal. Ich fühle mich so elend, Anne Shirley! Und dabei soll ich morgen den ganzen Tag lächeln und glücklich aussehen. Sally hält mich für abergläubisch, weil ich nicht ihre Brautjungfer sein wollte. Es heißt nämlich, wer dreimal Brautjungfer war, wird selbst nie eine Braut. Aber das ist es ja gar nicht, ich konnte nur einfach den Gedanken nicht ertragen, in ihrer Nähe zu sein, wenn sie ihr Jawort gibt. Wo ich doch genau weiß, dass ich Jim nie das Jawort geben darf. Ich würde bestimmt laut losheulen. Anne, ich glaube, ich werde noch verrückt.« Sie lehnte verzweifelt ihren Kopf an Annes Schulter.
Als die beiden nach einiger Zeit Hand in Hand zum Haus zurückgingen, war der Tanz schon vorbei und jeder suchte sich einen Platz zum Schlafen. Tante Mouser blieb allerdings noch auf dem Sofa sitzen und dachte über all die schrecklichen Dinge nach, die vielleicht morgen passieren würden.
»Ich hoffe, dass keiner auf die Idee kommt, die beiden Brautleute noch auseinander zu bringen, wie ich das aufTillie Hatfields Hochzeit erlebt habe«, verkündete sie lauthals.
»Na, das Glück wird Gordon wohl nicht haben«, grinste der Brautführer.
Tante Mouser sah ihn mit eisigem Blick an: »Über das Heiraten spaßt man nicht, junger Mann.«
»Wie Recht Sie haben«, gab er unbeeindruckt zurück. »Hallo, Nora! Wann dürfen wir denn auf deiner Hochzeit tanzen?« Das war zu viel.
Nora antwortete nicht, sondern ging auf ihn zu und verpasste ihm zwei saftige Ohrfeigen. Dann marschierte sie die Treppe hinauf, ohne sich noch einmal umzusehen.
»Sie ist wohl überreizt«, stellte Tante Mouser fest.
Kapitel 17
Am Samstagvormittag wurden in aller Eile die letzten Hochzeitsvorbereitungen getroffen. Anne half Nora in der Küche bei den Salaten. Nora hatte anscheinend tatsächlich Gewissensbisse wegen ihres Geständnisses am Abend zuvor.
»Es wird Wochen dauern, bis wir uns vor dem Trubel erholt haben«, maulte sie. »Und Vater kann sich diesen ganzen Aufwand eigentlich gar nicht leisten. Aber Sally musste ja unbedingt eine >tolle Hochzeit< haben und hat ihn so lange bedrängt, bis er nachgegeben hat. Er hat sie immer schon verhätschelt.«
»Du bist doch bloß neidisch«, sagte Tante Mouser, die plötzlich ihren Kopf zur Tür hereinstreckte.
»Richtig«, gab Nora Anne gegenüber zu. »Sehr richtig. Ich bin neidisch. Ich kann es noch nicht einmal ertragen, wenn jemand glücklich aussieht. Und ich bereue es kein bisschen, dass ich Jud Taylor gestern geohrfeigt habe. Ich hätte ihn eher noch in die Nase kneifen sollen. Trotzdem - ich wünsche Sally, dass alles gut geht. Im Grunde mag ich sie ja, nur im Moment könnte ich alle Leute hassen, besonders Jim Wilcox.«
»Ich hoffe bloß, dass der Bräutigam rechtzeitig zur Stelle ist«, tönte es da aus der Speisekammer. »Austin Creed zum Beispiel hat damals einfach seine Hochzeit vergessen. Die Creeds waren immer schon vergesslich, aber ich finde, das ging zu weit.«
Die beiden Mädchen sahen sich an und prusteten los und Noras Gesicht sah gleich viel freundlicher und gelöster aus.
Bis zum Mittag war alles tipptopp vorbereitet: der Tisch gedeckt, die Betten frisch bezogen, überall Blumenvasen aufgestellt; Sally und ihre drei Brautjungfern warteten schon oben im Hochzeitsstaat.
»Sie sehen wundervoll aus, Anne«, sagte Nora mit einem erneuten Anflug von Neid.
»Sie aber auch, Nora«, gab Anne zurück. »Ihr taubenblaues Kleid passt gut zu Ihren dunklen Haaren und blauen Augen.«
»Wen kümmert das schon«, sagte Nora betrübt. »Aber immerhin darf ich den Hochzeitsmarsch spielen; Vera fällt aus, weil sie Kopfschmerzen hat. Dabei ist mir eher danach, den Trauermarsch zu spielen, so, wie Tante Mouser es vorhergesehen hat.«
Tante Mouser, die den ganzen Morgen damit verbracht hatte, sich überall einzumischen und allen im Wege zu stehen, erschien in einem Kimono und machte Sally darauf aufmerksam, dass ein Ärmel nicht richtig saß. Dann kam Mrs Nelson herein und weinte vor Rührung, weil Sally in ihrem Brautkleid so schön aussah.
»Sei nicht sentimental, Jane«, rügte
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