Anne in Windy Willows
und deutlich.«
»Herr, errette uns vor Geistern und Dämonen ...«, murmelte Anne schlaftrunken.
»Miss Shirley, das ist nicht zum Lachen. Da sind Diebe im Haus. Ich werde Samuel holen«, beschloss nun Tante Mouser. Sie verschwand und die Mädchen sahen sich unschlüssig an. »Meint ihr wirklich ... ? Alle Hochzeitsgeschenke sind unten in der Bibliothek«, sagte Anne langsam.
»Also, ich gehe nachsehen«, sagte Mamie und stand auf.
Vier Mädchen huschten leise hinaus in den Flur. Tante Mouser erschien mit Dr. Nelson in Pantoffeln und Morgenrock. Mrs Nelson, die ihren Kimono nicht finden konnte, streckte ängstlich den Kopf aus der Tür.
»Samuel, sei ja vorsichtig!«, wisperte sie. »Wenn es wirklich Einbrecher sind, schießen sie womöglich!«
»Unsinn! Da wird überhaupt nichts sein«, winkte Dr. Nelson ab. »Und ich sage euch, ich habe einen Rums gehört«, raunte Tante Mouser mit zitternder Stimme.
Jetzt waren auch ein paar Jungen aufgewacht. Alle zusammen schlichen die Treppe hinunter. Dr. Nelson an der Spitze und Tante Mouser - in der einen Hand die Kerze, in der anderen den Schürhaken - als Nachhut.
Kein Zweifel, aus der Bibliothek drangen Geräusche! Dr. Nelson öffnete die Tür und schlich hinein.
Der Kater Barnabas, der offenbar abends in der Bibliothek übersehen worden war, saß auf der Rückenlehne des Sofas und blinzelte ihm gutmütig entgegen. Im schwachen Kerzenlicht erkannte man Nora, die mit einem jungen Mann in einer Ecke stand. Er hatte den Arm um ihre Schulter gelegt und hielt ihr ein weißes Taschentuch vors Gesicht.
»Er betäubt sie!«, kreischte Tante Mouser hysterisch und ließ mit Getöse den Schürhaken fallen.
Der junge Mann drehte sich erschrocken um. Er sah erstaunlich attraktiv aus mit seinen braunen Augen und dem krausen, rotbraunen Haar.
»Jim Wilcox, was hat das zu bedeuten?«, rief Dr. Nelson nun streng. »Das weiß ich doch nicht«, sagte Jim Wilcox eingeschnappt. »Ich weiß nur, dass Nora mir geleuchtet hat. Als ich um ein Uhr nach Hause kam, sah ich plötzlich Licht im Fenster und bin sofort herübergekommen.«
»Ich habe kein Licht aufgestellt«, rief Nora wütend aus. »Ich konnte noch nicht schlafen, sondern saß angezogen am Fenster und sah einen Mann den Strand heraufkommen. Als er näher kam, erkannte ich Jim, und da bin ich hinuntergelaufen. Dabei rannte ich gegen die Tür und schlug mir die Nase an, dass sie blutete. Und er ist mir gerade mit dem Taschentuch zu Hilfe gekommen.«
»Ich bin durchs Fenster hereingesprungen und habe dabei diese Bank umgeworfen.«
»Seht ihr, ich habe doch gesagt, es hat einen Rums gegeben«, triumphierte Tante Mouser.
»Und Nora behauptet jetzt, sie hätte das Licht nicht aufgestellt. Ich werde Sie also von meiner lästigen Gegenwart befreien und bitte Sie um Entschuldigung.«
Der junge Mann war wirklich wütend.
»Es ist aber auch eine Zumutung, dich in deiner Nachtruhe zu stören und hier herüberzuhetzen«, gab Nora in ihrem eisigsten Ton zurück, während sie verzweifelt nach einer sauberen Stelle in Jims Taschentuch suchte.
»Auf dem Rückweg nehmen Sie besser die Tür«, schlug Tante Mouser spitz vor.
»Ich war es, die das Licht ins Fenster gestellt hat«, warf Anne jetzt reuevoll ein, »und dann habe ich es vergessen -«
»Sie!«, schrie Nora. »Das werde ich Ihnen niemals verzeihen!«
»Seid ihr denn alle verrückt geworden?«, rief Dr. Nelson gereizt. »Was soll das alles? Machen Sie um Himmels willen das Fenster zu, Jim! Bei der Kälte erfriert man ja. Nora, leg den Kopf zurück, dann hört es auf zu bluten.«
Vor lauter Wut und Scham brach Nora daraufhin in Tränen aus. Jim Wilcox sah aus, als wollte er am liebsten im Erdboden versinken.
»Also«, rief Tante Mouser empört, »das Einzige, was Ihnen jetzt übrig bleibt, Jim Wilcox, ist, Nora zu heiraten. Wenn sich herumspricht, dass man sie um zwei Uhr nachts hier mit Ihnen ertappt hat, wird sie ja nie mehr einen Mann kriegen.« Sie stemmte die Arme in die Seiten.
»Sie heiraten!«, rief Jim Wilcox außer sich. »Was meinen Sie wohl, was ich mein ganzes Leben lang im Kopf gehabt habe! Ich wollte nie etwas anderes!«
»Aber warum hast du dann bloß nie etwas davon gesagt?«, fragte Nora verblüfft und drehte sich hastig zu ihm um. »Warum? Weil du mich ständig abweisend und schroff behandelt hast. Keine Gelegenheit hast du ausgelassen, mir zu zeigen, wie sehr du mich verachtest. Ich dachte, es hätte überhaupt keinen Sinn, dich zu fragen. Und im Januar
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