Anne in Windy Willows
dafür.
»Finden Sie das auch, Miss Shirley?«, fragte sie ängstlich und sah mich erwartungsvoll an. »Ich will ja nicht unwürdig erscheinen, aber ich habe schon immer von so einem Umhang geträumt und jetzt ist er gerade wieder in Mode.«
»Zu alt! Natürlich sind Sie nicht zu alt, meine Liebe«, bestätigte ich. »Niemand ist zu alt für etwas, was er gerne anziehen möchte. Wenn Sie zu alt für den Umhang wären, würden Sie ihn nicht tragen wollen!«
»Ich werde also Kate trotzen und mir den Umhang einfach kaufen«, sagte Tante Chatty alles andere als trotzig. Aber sie wird es wohl tatsächlich tun und ich glaube, ich weiß schon, wie ich Tante Kate versöhnen kann.
Jetzt bin ich ganz allein in meinem Zimmer. Kein Laut ist zu hören draußen in der Nacht, sogar die Weiden sind völlig reglos. Ich habe mich gerade aus dem Fenster gelehnt und jemandem in Kingsport einen Kuss zugeworfen.
Kapitel 2
Anne und Lewis wanderten langsam die kurvenreiche Dawlish-Straße entlang und blieben ab und zu stehen, um einen besonders schönen Ausblick zu genießen oder eines der malerischen kleinen Häuser zu fotografieren. An den Häusern zu klingeln und um Unterstützung für den Theaterklub zu bitten, machte allerdings weniger Spaß, aber Anne und Lewis wechselten sich ab; wenn eine Frau die Tür öffnete, sprach Lewis vor, wenn ein Mann erschien, ergriff Anne das Wort. Rebecca hatte ihr diesen guten Rat gegeben. »Wenn man nett aussieht und gut angezogen ist wie Sie, ist es besser, die Männer zu übernehmen. Die Frauen geben nur Geld, wenn man in Lumpen vor ihnen steht. Das weiß ich aus Erfahrung.«
»Ist das nicht eine wundervolle Straße?«, sagte Anne träumerisch. »Hinter jeder Ecke und Kurve scheint eine Überraschung zu lauern. Ich liebe solche Straßen.«
Sie kamen an eine Quelle am Wegrand und setzten sich ins weiche Moos. Lewis schöpfte mit einem Stück Birkenrinde Wasser.
»Wie kostbar Wasser ist, weiß man erst, wenn man fast verdurstet«, sagte er. »Diesen Sommer habe ich mich einmal in der Prärie verlaufen und bin stundenlang durch die Hitze marschiert. Ich dachte wirklich, ich müsste verdursten, bis ich zu einer Hütte kam, an der eine Quelle vorbeiführte. Noch nie habe ich mich so sehr über Wasser gefreut!«
»Wir kriegen gleich Wasser von woanders her«, sagte Anne mit einem besorgten Blick nach oben. »Es wird gleich einen Schauer geben. Ich liebe Regen über alles, aber nicht in meinem guten Kleid. Und weit und breit ist kein Haus in Sicht.« Sie spähte umher.
»Doch, da drüben ist eine alte verlassene Schmiede«, sagte Lewis, »aber wir müssen rennen.«
Sie nahmen die Beine in die Hand und rannten los. Unter dem Dach konnten sie den Regenguss richtig genießen. Urplötzlich war alles still. Selbst der Wind, der vorher noch leise durch die Straße geweht hatte, war vergangen. Kein Blatt bewegte sich. Wie ein riesiger kalter Schatten kam die große Regenwolke auf die Ahornbäume zu und verschlang sie. Dann ein plötzlicher Windstoß, und gleichzeitig prasselte der Regen nieder »Wenn das bloß vorbeigeht.. .«, meinte Lewis.
Es ging vorbei. So schnell wie das Unwetter hereingebrochen war, so schnell war es auch wieder verschwunden, und die Sonne schien auf die nassen, glitzernden Bäume herab. Zwischen weißen Wolkenfetzen strahlte blauer Himmel. Die Wälder ringsherum schillerten feucht und ein Vogel zwitscherte über ihnen im Ahornbaum, als ob er an den Frühling glaubte. Die ganze Welt atmete auf.
»Komm, wir gehen hier entlang«, schlug Anne vor und zeigte auf einen kleinen Seitenweg.
»Ich glaube kaum, dass an dem Weg jemand wohnt«, sagte Lewis zweifelnd und blieb stehen. »Ich glaube eher, das ist bloß eine Verbindung zum Hafen.«
»Und wenn schon«, drängte Anne ungeduldig. »Ich möchte ihn gern sehen. Ich habe immer schon eine Schwäche für Seitenwege gehabt - sie sind so schön verwachsen und einsam. Ich fühle, dass da irgendwo ein Haus ist... ein ganz bestimmtes Haus ... ein sehr fotogenes Haus.«
Sie täuschte sich nicht, das Haus, zu dem sie schließlich kamen, war tatsächlich fotogen. Es bot einen sehr merkwürdigen und altmodischen Anblick, mit tief herabhängenden Dachkanten und quadratischen, unterteilten Fenstern. Große Weiden streckten ihre Zweige gebieterisch darüber aus und alles war überwuchert von Gestrüpp. Das Haus war verwittert und völlig heruntergekommen, im Gegensatz zu den Scheunen, die im bestem Zustand waren.
»Wenn die Scheune besser
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