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Anne Rice - Pandora

Anne Rice - Pandora

Titel: Anne Rice - Pandora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pandora
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Bluttrinker ist ein winziger Teil von ihm, der in sich all seine Sinne und Fähigkeiten trägt und die eigenen Erfahrungen an es zurückgibt. Durch uns streckt es seine Fühler aus, um die Welt kennen zu lernen.
    Eins kann ich dir sagen!«, sagte er. Er hielt inne und legte die Hände auf das Schreibpult. »Das, was da in mir brennt, schert sich nicht darum, ob mein Opfer unschuldig ist oder ein Verbrecher. Es hat Durst. Nicht jede Nacht, aber häufig genug! Es sagt nichts! Es spricht in meinem Herzen nicht von Altären zu mir! Es treibt mich an, als wäre es ein Feldherr und ich das Schlachtross, das es lenkt. Ich selbst – Marius – bin es, der die Guten und die Bösen unterscheidet, dem alten Brauch gemäß und aus Gründen, die du sicher gut verstehst, aber dieser gierige Durst tut das nicht! Dieser Durst kennt die Natur, aber keine Moral.«
    »Ich liebe dich, Marius«, sagte ich zu ihm. »Du und mein Vater, ihr seid die einzigen Männer, die ich je wirklich geliebt habe. Aber nun muss ich allein hinaus.«
    »Was hast du gesagt?« Er war überrascht. »Es ist kurz nach Mitternacht.«
    »Du warst sehr geduldig, aber ich muss jetzt allein gehen.«
    »Ich komme mit dir!«
    »Das wirst du nicht«, sagte ich.
    »Aber du kannst nicht so einfach allein in Antiochia herumlaufen.«
    »Warum nicht? Ich kann jetzt die Gedanken der Sterblichen auffangen, wenn ich will. Gerade ist eine Sänfte vorbeigezogen. Die Sklaven sind so betrunken, dass es an ein Wunder grenzt, dass sie das Ding nicht fallen lassen und ihren Herrn auf die Straße werfen, während der ganz fest schläft. Ich möchte allein umherziehen, drau-
    ßen in der Stadt, in den dunklen Gassen und den gefährlichen und üblen Bezirken und in den Vierteln, wo selbst
    … selbst ein Gott keinen Fuß hinsetzen würde.«
    »Das ist deine Rache an mir«, sagte er. Ich ging zum Tor, und er folgte mir. »Pandora, nicht allein.«
    »Marius, mein Liebster«, sagte ich, drehte mich zu ihm um und nahm seine Hand. »Das hat mit Rache nichts zu tun. Deine Worte von vorhin, ›Mädchen‹ und ›Frau‹, die haben immer mein Leben bestimmt. Jetzt möchte ich endlich ganz furchtlos mit nackten Armen und gelöstem Haar in jede gefährliche Höhle gehen, die mich reizt. Ich bin immer noch berauscht von ihrem Blut, von deinem!
    Dinge, die leuchten sollten, flackern und flimmern. Ich muss jetzt allein sein, um über alles, was du mir gesagt hast, gründlich nachzudenken.«
    »Aber du musst noch vor der Morgendämmerung zu-rück sein, rechtzeitig vorher. Du musst dich mit mir nach unten in das Gewölbe zurückziehen. Du kannst dich nicht einfach irgendwo in einem Zimmer hinlegen. Das tödliche Licht könnte eindringen –«
    Er war so fürsorglich, so strahlend, so in Rage.

    »Ich werde rechtzeitig zurück sein«, sagte ich, »lange vor der Morgendämmerung, und einstweilen dies: Mir wird das Herz brechen, wenn wir nicht von diesem Augenblick an einander fest verbunden sind.«
    »Wir sind verbunden«, sagte er. »Pandora, du könntest mich zum Wahnsinn treiben.«
    Er blieb vor dem Gitter des Tores stehen.
    »Geh nicht weiter mit«, sagte ich, während ich mich entfernte. Ich wanderte nach Antiochia hinunter. Ich hatte eine Riesenkraft und Elastizität in den Beinen, und der Staub und die Steine auf der Straße machten meinen Füßen nicht das Mindeste aus, und meine Augen durch-drangen die Nacht, so dass ich das ganze Komplott der kleinen Nager und Eulen entdeckte, die in den Bäumen lauerten, mich anstarrten und flohen, als warnte ihr In-stinkt sie vor mir.
    Bald war ich mitten in der Stadt. Ich glaube, die Entschlossenheit, mit der ich von einer schmalen Gasse zur nächsten schritt, genügte schon, jeden abzuschrecken, der auch nur entfernt daran gedacht hatte, mich zu belä-
    stigen. Aus dem Dunkel vernahm ich höchstens feige, anzügliche Schimpfworte, die verworrenen, hässlichen Flüche, die Männer über unerreichbare Frauen ausschütten, die sie begehren – halb Drohung, halb Abweisung.
    Ich konnte die Menschen spüren, wie sie in ihren Häusern in tiefem Schlaf lagen, selbst die Wachen, die sich in ihren Unterkünften hinter dem Forum unterhielten, hör-te ich.
    Ich tat all das, was neue Bluttrinker immer tun. Ich be-rührte die Oberflächen der Wände und versenkte mich in den Anblick einer ganz gewöhnlichen Fackel, der sich Nachtfalter hingaben. Ich hatte das Gefühl, an meine nackten Arme, an den leichten Stoff meiner Tunika grenzten die Träume von ganz

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