Annebelle - sTdH 2
sehr wohl etwas ausmachen.
Womit sie nur ihre Naivität bewies.
Minerva
glaubte, sie habe ihre Pläne für die Hochzeitsreise mit ihrer Schwester
besprochen, doch in Wirklichkeit hatte sie es vergessen. Und so sah Annabelle
schon die Saison vor sich und träumte davon, mit der hochgewachsenen Gestalt
Lord Sylvesters Walzer zu tanzen.
Schließlich kam der große Tag heran. Annabelle
verspürte die Ruhe eines Soldaten, der sich endlich inmitten seiner ersten
Schlacht wiederfindet.
Vorfreude
und Angst waren berauschender Erregung gewichen. Sie wußte, daß sie nie schöner
gewesen war und Minerva in ihren abgetragenen, vergilbten Spitzen und dem
großen Federhut nie durchschnittlicher ausgesehen hatte.
Stolzgeschwellt
führte der Vikar von St. Charles and St. Jude seine beiden Töchter durch den
Chorgang. Hinter den Spitzen ihres Schleiers konnte Annabelle sehen, wie
verstohlen alle in ihre Richtung schauten. Die ganze Gesellschaft war da.
Vertraute Gestalten aus Hopeworth schienen aus der Menge hervorzustechen. Da
waren Emily und Josephine, kichernd und flüsternd, Squire Radford, klein und
gebrechlich, Lady Wentwater mit einem riesigen Bonaparte-Hut. Selbst der
berühmte Modepapst, Mr. George Brummel, war da und betrachtete die Versammlung
mit seinen kleinen, grauen, prüfenden Augen.
Da war die
Herzogin von Allsbury, die mißmutig dreinblickte und sich nur schwer damit
abfand, daß die Hochzeit ihres Sohnes in Kürze eine vollendete Tatsache sein
würde.
Daß sie der
Mittelpunkt dieser erlesenen Versammlung war, berauschte Annabelles junge
Sinne.
Nach der
Hochzeit würde die Londoner Saison kommen, die im April begann – Bälle und
Feste mit ihr und Minerva und Lord Sylvester und dem Marquis. Sie würden stets
zusammen erscheinen und allgemein beneidet werden.
Sie fühlte
sich so erhoben und war so entschlossen, ihre Rolle nach besten Kräften zu
spielen, daß sie Lord Sylvester nicht mit einem Blick ansah,
sondern den Marquis schüchtern und auf eine Weise anlächelte, von der sie
annahm, so und nicht anders habe eine Braut zu lächeln. Doch dann begann der
Hochzeitsgottesdienst.
Annabelle
spürte den kalten Schauer der Wirklichkeit bis in ihre innerste Seele.
Sie hatte
den Hochzeitsgottesdienst schon viele Male gehört, wenn ihr Vater Paare aus dem
Dorf Hopeworth traute. Doch nie hatten die Worte so viel Bedeutung, so
schreckliches Gewicht gehabt.
»Zu haben
und zu halten von diesem Tage an, in guten und in schlechten Zeiten, in
Reichtum und in Armut, in Krankheit und Gesundheit, zu lieben und zu hegen,
bis daß der Tod uns scheidet, nach Gottes heiligem Gebot; dies gelobe ich.«
Die Kirche
duldete keinerlei außereheliche Lüste. Mit jedem Wort des Gottesdienstes spürte
sie, wie sich die eisernen Bande der Ehe fester um sie legten.
Dann sagte
die Stimme des Marquis, heiser vor Bewegung: »... mit meinem Leib verehre ich
dich.«
Verwirrt,
betroffen, erschrocken zitterte Annabelle an der Seite ihres Ehemannes, und
sie dachte an die bevorstehende Nacht und an die folgenden Tage.
Die Glocken
läuteten laut und dröhnend wie die Gedanken in Annabelles Kopf, als sie
schließlich als Marquise von Brabington aus der Kirche geleitet wurde.
Dieser
Augenblick war Minervas Triumph, obwohl sie nichts anderes wahrnahm als die
Wärme der Hand ihres Mannes in ihrer eigenen.
Ihr strahlendes
Glück und ihre Schönheit machten die Schäbigkeit ihres Kleides vergessen.
Hinter ihr ging Annabelle, den Schleier zurückgeschlagen, mit weit
aufgerissenen Augen und gehetztem Ausdruck.
Sie
hungerte nach der Versicherung, der Rechtfertigung, sie habe all dies nicht
selbst über sich gebracht. Warum sollte gerade sie so schreckliche
Gewissensqualen empfinden, wo doch jeder wußte, daß die meisten verheirateten
Paare der Gesellschaft einander von Herzen verabscheuten und viele von ihnen
getrennt lebten?
Scheidungen
waren selten, doch eine Trennung war äußerst modisch und chic.
Doch die
Worte des Hochzeitsgottesdienstes, die Pflichten der Ehe, lagen ihr
schwer auf der Seele.
Das
Hochzeitsmahl fand im Stadthaus des Herzogs und der Herzogin von Allsbury am
Grosvenor Square statt. Annabelle lauschte wie in Trance den Reden und dem Lärm
und Gelächter rings um sie her.
Fetzen der
Unterhaltung drangen an ihr Ohr, und dann machte ihr Schrecken sie taub für den
Rest. Sie trank sehr viel Wein, bis ihr Mann freundlich eine Hand auf ihr Glas
legte. Sie zitterte vor diesem ersten Zeichen seiner Autorität als
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