Annebelle - sTdH 2
mir hinausgehen und
etwas frische Luft schöpfen?«
»Ich weiß
nicht, ob ich das tun sollte. Wir haben keine Anstandsdame.«
»Sie
vergessen, daß Sie jetzt eine verheiratete Frau sind und solcher Konventionen nicht
mehr bedürfen.«
Während er
sprach, öffnete er eine der Terrassentüren. Eine feuchte, warme Brise schlug
Annabelle entgegen. Sie drehte sich um und blickte zurück in den Ballsaal, aber
in der wogenden Schar der Tänzer war nichts von ihrem Mann zu sehen.
Sie fühlte
einen dumpfen Stich in der Magengrube. »Ja, gut«, sagte sie, »aber nur für
einen Moment.«
Zusammen
gingen sie über die Terrasse und einige bemooste Stufen hinunter. Ein leichter
Dunst lag über allem, perlte auf dem Gras und sammelte sich in schweren
Tropfen, die wie Tränen von den Büschen fielen.
In der
Mitte befand sich ein kleiner, runder Teich.
»Ich
glaube, er ist voller Goldfische«, sagte Annabelle.
»Wie
romantisch.«
»Nein, ich
mag Goldfische nicht. Diese hier sind fett und haben einen leeren Blick.«
»Wir hätten
etwas Brot mitbringen und sie füttern sollen.«
»Ach was!«
lachte Annabelle und vergaß für einen Augenblick ihren Kummer. »In einer
feuchten Nacht Fische zu füttern! Wir sind ziemlich närrisch, so
spazierenzugehen. Ich bin sicher, daß der Saum meines Kleides ruiniert ist.
Kehren wir um.«
»Ach, ich
würde lieber hierbleiben. Der Mondschein ist entzükkend.«
»Der Mond
scheint doch gar nicht.«
Er kam ganz
nahe an sie heran. »Der Mondschein ist in den Zwillingsteichen Ihrer Augen.
Tief in den geheimnisvollen blauen Abgründen. Ich
schaue in Ihre Augen, Annabelle, und meine zu ertrinken.«
»Sir! Sie vergessen
sich. Wir müssen zurückgehen.«
Sie war
plötzlich nervös. Er war ihr so nahe; sie konnte die Hitze seines Körpers
spüren, das seltsame Glitzern seiner Augen sehen.
Sie tat
einen halben Schritt rückwärts, und er ergriff ihre Hand. Da schaute Annabelle
ein wenig zur Seite und vergaß sofort alle ihre Ängste. Es schien, als komme
ein langer, schwarzer, schmaler Schatten langsam aus dem Gebüsch. Er sah aus
wie ein merkwürdiger Ast, der in Richtung auf Sir Guy wuchs.
Sie öffnete
den Mund, um etwas zu rufen, als der Ast oder die Stange plötzlich einen
heftigen Stoß vollführte und Sir Guy mitten auf die Brust traf. Mit einem
verblüfften Ausdruck verlor dieser den Halt auf dem nassen Boden und fiel
rückwärts in den Teich.
Annabelle
rannte am Ufer hin und her und stieß verzweifelte kleine Schreie aus.
Zu ihrer
Erleichterung erschien der Kopf von Sir Guy, und als er sich aufsetzte, fiel
ihr ein, daß der Teich ja nur drei Fuß tief war. »Was zum ...?« rief Sir Guy.
»Ein Ast
hat Sie gestoßen«, stammelte Annabelle, »und ich muß gehen. Ich muß wirklich
gehen. Es wird sehr seltsam aussehen, wenn man uns hier so findet. Bitte,
lassen Sie mich ins Haus gehen und die Diener schicken.«
Ohne auf
Sir Guys erstickte Rufe zu achten, rannte sie rasch die Stufen hinauf und über
die Terrasse, atmete tief und schlüpfte leise in den Erfrischungsraum.
Aus dem
Ballsaal tönten Stimmen, Musik und Gelächter herüber. Das Erfrischungszimmer
war leer bis auf den Herzog von Allsbury, der sich ein Glas Wein einschenkte.
»Ihre
Gnaden«, sagte Annabelle, »bitte schicken Sie einen Diener in den Garten. Ich –
ich stand am Fenster und hörte ein schreckliches Platschen und einen
Hilfeschrei. Ich fürchte, jemand ist in den Teich gefallen.«
»Was?«
bellte der Herzog. »Ist schon wieder einer der Burschen beschwipst und will
mit den Goldfischen schwimmen? Ich bin das wirklich leid. Zu meiner Zeit
konnten die Männer den Wein noch vertragen. Hallo, Sie da!« rief er einen
Lakaien heran. »Da ist jemand im Teich.
Gehen Sie und holen Sie ihn heraus.«
Annabelle
wartete, fiebrig vor Besorgnis. Es war ihr so harmlos vorgekommen, mit Sir Guy
durch den Garten zu schlendern. Doch jetzt konnte sie sich die verblüfften
Fragen ausmalen. Und Sir Guys Aufmerksamkeiten hatten sich als allzu
zudringlich erwiesen.
Doch der
Diener kam zurück und berichtete, der Garten sei menschenleer, und im Teich
sei auch niemand.
Annabelle
stieß einen kleinen Seufzer der Erleichterung aus. Was war geschehen? Hatten
ihre Augen ihr einen Streich gespielt? Vielleicht hatte es den geheimnisvollen
Ast überhaupt nicht gegeben und Sir Guy hatte nur das Gleichgewicht verloren.
Sie schaute
hinunter auf den Saum ihres Kleides und sah, daß er ein wenig feucht war. Leise
schlüpfte sie um die Ecke des
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