Annie und der sinnliche Italiener
bessere Manieren.“
Luc lächelte und neigte leicht den Kopf. „Dies sind ja auch etwas … schwierige Umstände.“
„Das kann man wohl sagen!“, gab Tilly seufzend zu.
„Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Luca de Salvatore.“
Annies Mutter ergriff bereitwillig die höflich entgegengestreckte Hand. „Tilly Williams. Ich kenne Ihren Namen aus den Finanzblättern, die Annies Vater bevorzugt studiert. Sind Sie der Freund aus Italien, bei dem sie noch ein paar Tage Urlaub machen wollte?“
Unter dem forschenden Blick der strahlend blauen Augen, in dem sich Neugier und Spekulation die Waage hielten, fühlte Luc sich nicht besonders wohl. Ob ihr womöglich bereits eine gewisse Familienähnlichkeit zu ihrem Enkel aufgefallen war?
Er konnte es kaum erwarten, seinen Sohn endlich von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Aber vielleicht wäre es auch zu viel für den kranken kleinen Jungen, in dieser Situation mit einem ihm völlig Fremden konfrontiert zu werden. Ob es ihm passte oder nicht, diese Entscheidung würde er Annie überlassen müssen.
„Ja“, antwortete Luc verspätet auf Tillys Frage.
„Seltsam, dass Annie Sie nie zuvor erwähnt hat.“
Das kommentierte er mit einem unverbindlichen Schulterzucken.
„Sind Sie beide denn schon länger befreundet?“
„Wir sind einander vor einigen Jahren zufällig begegnet“, gab er vage Auskunft.
„Verstehe …“ Tillys Blick sprach Bände.
„Wirklich?“
„Ich denke schon.“ Annies Mutter machte eine Pause. „Würden Sie auch gern hineingehen, um Oliver zu sehen, Mr de Salvatore?“, fragte sie dann ruhig.
Ihr Vorschlag bestätigte ihm, dass Tilly Williams sehr genau wusste, wer er war. Und damit wusste sie auch, dass er bisher im Leben ihres Enkels keine Rolle gespielt hatte. Nur mit Mühe gelang es Luc, das Kratzen im Hals loszuwerden, das ihn plötzlich am Sprechen hinderte.
„Ich glaube kaum, dass es Annie recht wäre.“
„Und ich denke, meine Tochter ist inzwischen erwachsen genug, um einzusehen, dass dies hier ganz besondere Umstände sind“, versicherte Tilly ihm trocken. „Außerdem hat Annie Sie schließlich mit hierher gebracht, oder?“
Daraufhin sah er ihr schuldbewusst in die Augen. „Sobald ich von Olivers Unfall erfahren habe, habe ich ihr kaum eine andere Wahl gelassen, befürchte ich.“
„Oh, vor mir brauchen Sie sich nicht zu fürchten, Mr de Salvatore“, versprach Tilly ihm angesichts seiner zerknirschten Miene. „Was meinen Exmann betrifft, ist das allerdings noch einmal eine ganz andere Sache …“
„Verzeihung?“
„Wie haben Sie beide sich überhaupt getroffen?“
Luc versuchte gar nicht erst so zu tun, als würde er Annies Mutter nicht verstehen. „Kürzlich oder damals?“
„Kürzlich.“
„Wir haben beide an der gleichen Managerschulung am Gardasee teilgenommen.“
„Ah“, machte Tilly und nickte wissend.
Irritiert kniff er die Augenbrauen zusammen. „Verzeihung, ich …“
„Luc?“
Als er sich umdrehte, sah er Annie in der geöffneten Tür zum Krankenzimmer stehen. Ihr Gesicht war immer noch sehr blass, doch die Tränen waren inzwischen versiegt. Als sie stumm zur Seite trat, klopfte sein Herz plötzlich schmerzhaft im Hals. In dem riesigen weißen Klinikbett wirkte die Silhouette des kleinen Jungen mit den dunklen Locken so winzig und zerbrechlich, dass es ihm den Atem verschlug.
Oliver. Sein Sohn.
„Möchtest du nicht reinkommen, Luc?“, fragte Annie leise.
Rasch wandte er den Blick von der kleinen Gestalt ab und forschte angestrengt in Annies Gesicht. „Ich möchte ihn nicht noch zusätzlich belasten“, erwiderte er ebenso leise.
„Er ist in dem Moment eingeschlafen, als ich ihm versichert habe, dass ich immer noch da sein werde, wenn er wieder aufwacht“, beruhigte sie ihn.
„In dem Fall möchte ich ihn sehr gern sehen.“
Annie nickte und blickte zu ihrer Mutter. „Luc und ich setzen uns ein bisschen zu Oliver, Mummy. Willst du dir nicht eine Pause gönnen?“
Mit einem erleichterten Lächeln erwiderte Tilly Annies Blick. „Gern. Der Akku in meinem Handy ist fast leer, darum würde ich gern nach Hause fahren, um deinen Vater anzurufen.“
„Ist er nicht auf Balfour Manor?“, fragte Annie überrascht.
„War er das überhaupt in der letzten Zeit?“, gab Tilly leichthin zurück.
Ihre Mutter hatte recht. Nachdem Oscar seine Töchter in die weite Welt geschickt hatte, schien es ihm zu widerstreben, mehr Zeit als unbedingt nötig auf seinem Familienstammsitz zu
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