Annie und der sinnliche Italiener
eine warmherzige und verständnisvolle Frau“, stellte Luc bewundernd fest, während Annie und er die beiden Betten zurechtrückten, die Tilly für sie organisiert hatte, damit sie die Nacht bei Oliver verbringen konnten.
Oh, ja, meine Mutter ist eine warme und manipulative Frau! dachte Annie bei sich. Sie hätte es lieber gesehen, wenn Tilly Luc ein Bett im Pförtnerhaus von Balfour Manorangeboten hätte. Doch stattdessen hatte mit sie hartnäckiger Freundlichkeit darauf gepocht, das Mr de Salvatore es angesichts der besonderen Umstände vielleicht vorziehen würde, auch im Krankenhaus zu übernachten!
Selbst wenn das prekäre Thema zwischen den drei Erwachsenen nicht offen zur Sprache gekommen war, als Tilly ihren Enkel noch einmal besucht hatte, waren sie sich natürlich alle dieser besonderen Umstände bewusst.
Luc war Olivers Vater. Wie hätte Annie ihm da verwehren können, an der Seite seines Sohnes zu bleiben, den er gerade zum ersten Mal in seinem Leben sah?
Zum Glück hatten ihnen die behandelnden Ärzte versichert, dass keine Spätfolgen des Unfalls zu erwarten seien und sie den Patienten am nächsten Morgen, nach einer abschließenden Untersuchung, wieder mitnehmen dürften.
Aber davor musste Annie eine Nacht mit Luc im selben Zimmer schlafen!
Natürlich in separaten Betten und in Olivers Gegenwart, was ein ähnliches Desaster wie das vom Nachmittag im Heu ausschloss. Doch Annies neu entdeckte, starke Gefühle für den Vater ihres Sohnes machten ihr trotzdem bewusst, wie beunruhigend und intim sich die nächtliche Situation für sie anfühlen würde. Und wie sehr sie Luc liebte …
Hatte sie ihn vielleicht schon immer geliebt?
Vor viereinhalb Jahren hatte er sie mit seinem dreisten Freibeutercharme zumindest im Handumdrehen erobert. Doch erst nach dem folgenschweren Skiurlaub gestand Annie sich ein, dass eigentlich schon der erste Blick von ihm genügt hatte, um ihr Herz zu gewinnen. Sonst hätte sie sich ihm niemals bereits in der ersten Nacht hingeben können.
Aber hatte sie Luc auch in den Jahren danach geliebt?
War ihr Desinteresse an anderen Männern vielleicht ein Zeichen ihrer verwirrten Gefühlslage gewesen, die sie sich selbst nicht einzugestehen gewagt hatte? Ebenso wie ihre Enttäuschung, wenn sie sich tatsächlich einmal auf ein zweites oder sogar drittes Date eingelassen hatte? Zumindest schien alles dafürzusprechen.
Unter gesenkten Wimpern beobachtete sie Luc, der seine Reisetasche auf eines der Zusatzbetten stellte und den Reißverschluss aufzog.
Nein! fuhr es ihr plötzlich durch den Kopf. Dort stand nicht Luc, sondern Luca de Salvatore . Dieser beherrschte, kontrollierte Mann mit den harten Gesichtszügen hatte wenig mit dem verwegenen Piraten von damals gemeinsam, der ihr Herz im Sturm erobert hatte.
Doch wie sollte sie ihre neu entdeckte Gefühlslage dann interpretieren? Etwa, dahingehend, dass sie sich in den letzten zwei Tagen auch in Luca de Salvatore verliebt hatte? Natürlich waren beide ein und derselbe Mann … aber dann auch wieder nicht. Himmel noch mal! Warum muss nur immer alles so kompliziert sein?
Luc war hinreißend wild und ungestüm gewesen. Spontan und verantwortungslos. Der Typ Mann, von dem Annie instinktiv wusste, dass er keinen guten Ehemann abgeben würde, weder für sie noch für eine andere Frau. Und schon gar keinen wünschenswerten Vater für das Kind, von dessen Existenz sie erst etwas gespürt hatte, als sie bereits wieder zu Hause war.
In der Hinsicht war Luca de Salvatore anders.
Rücksichtslos, mächtig, selbstherrlich und voller Vertrauen in sich selbst und die Umstände, die er sich geschaffen hatte. Er wäre zumindest in der Lage, seinen Pflichten nachzukommen. Und nachdem, was sie in den letzten Stunden beobachtet hatte, wäre er sicher ein engagierter, ernsthafter Vater.
Eher zu engagiert und ernsthaft, um genau zu sein!
Hätte er sie sonst vor die Wahl gestellt, entweder seine Frau zu werden oder das Sorgerecht vor Gericht zu erstreiten, nur um an seinen Sohn heranzukommen?
Wie hatte sie sich nur so weit vergessen können, einem solchen Mann ihr Herz zu schenken? Und das nicht zum ersten Mal!
„Annie?“, fragte Luc besorgt, als er sah, wie sich ihr Blick umwölkte und die Mundwinkel nach unten wanderten. Sie musste völlig erschöpft sein, nach all der Aufregung, der Angst und den Strapazen der Reise. Doch als sie ihm jetzt ihr Gesicht zuwandte, stand in ihren Augen ein eher wachsamer, misstrauischer Ausdruck.
„Die Ärzte
Weitere Kostenlose Bücher