Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
war zwar wolkenverhangen, aber Annika musste wegen des grellen Farbtons blinzeln.
Anders Schyman hatte sie nach dem Termin in der Regierungskanzlei nach Hause geschickt. Ehrlich gesagt, eine vernünftige Entscheidung.
Sie tippte den Haustürcode ein und lief die Treppe hinauf. In der Wohnung warf sie ihren Mantel auf einen Haufen gleich hinter der Eingangstür, ging mit ihrer Tasche ins Wohnzimmer, packte den Laptop aus und stellte ihn auf den Couchtisch. Dann schaltete sie in der Küche den Wasserkocher ein, und während das Wasser heiß wurde, ging sie zur Toilette. Als sie sich die Hände wusch, fiel ihr Blick auf Thomas’ Handtuch, das neben dem Waschbecken hing. Er war der Einzige in der Familie, der darauf bestand, ein eigenes Handtuch zu haben.
Sie trocknete die Hände daran ab.
Aus dem Hängeschrank im Kinderzimmer holte sie neues Toilettenpapier, stöpselte das Festnetztelefon ein, brühte sich in einem Becher mit der Aufschrift »The White House« einen Pulverkaffee und checkte ihr Mailfach.
Den Bericht der Engländerin, die garantiert süß und blond war, hatte Halenius nicht geschickt.
Sie starrte auf die Liste der eingegangenen Mails, die Hände krampfhaft im Schoß geballt. Aus irgendeinem Grund erschien das Bild der fetten Frau auf der Titelseite des Abendblatts vor ihrem geistigen Auge.
Vielleicht war alles nur ein schreckliches Missverständnis. Vielleicht hatten die Männer an der Straßensperre geglaubt, dass es sich bei den Abgesandten der EU -Konferenz um ganz andere handelte, vielleicht Amerikaner, vielleicht CIA -Agenten, und wenn sie ihren Irrtum erkannten, würden sie Thomas und seine Gruppe gleich wieder zum Flugplatz in dieser Stadt fahren, nach Liboi. Thomas würde sich natürlich ein Bier an der Bar genehmigen und auch nicht vergessen, ein bisschen was Zollfreies einzukaufen, ein Parfüm für sie und vielleicht ein paar Halbkilotüten Süßigkeiten für die Kinder. Er würde nach Hause kommen, müde und schmutzig, und über den Service im Flughafen von Liboi meckern und über das schlechte Essen im Flieger …
Sie kontrollierte noch einmal die eingegangenen E-Mails.
Nichts. Keine Engländerin.
Sie fragte sich, ob er schon mit ihr geschlafen hatte.
Sie stand auf und ging ins Kinderzimmer. Kalle hatte sein Bett gemacht, Ellen nicht.
Die Kinder immer bei sich zu haben war das Wichtigste. Sie hatte es mit einer anderen Regelung versucht, aber das hatte sie beinahe um den Verstand gebracht. Das Jahr, als Thomas bei Sophia Grenborg wohnte und sie die Kinder nur alle zwei Wochen hatte, war grauenvoll gewesen. Andere schafften das, sogar die meisten anderen, viele fanden es sicher praktisch, ja nahezu bequem, aber sie nicht.
Sie ließ sich auf Ellens zerwühlte Kissen sinken.
Sie hatte sich wirklich Mühe gegeben.
Als sie wieder zusammengekommen waren und dann nach Amerika zogen, hatte sie in puncto Sex, Kochen und Arbeitszeiten alles gegeben. Hatte masturbiert, wenn sie allein war, um wieder so etwas wie Lustempfinden zu üben, hatte Kochbücher mit mexikanischen und asiatischen Rezepten gekauft, hatte sich mit dem Zeitunterschied herausgeredet, wenn sie sich vor der Verteilung der allzu arbeitsintensiven Aufträge vom Newsdesk verdrückte, und stattdessen Chocolate Chip Cookies für den Schulbasar gebacken. Trotzdem wusste sie, dass er fremdging. Nicht mit einer bestimmten, sondern mit solchen Frauen, die er ohne allzu große Anstrengung flachlegen konnte. Sie war sich sicher, dass er hervorragend ankam. Mit seinem blonden Haar und den grauen Augen und den breiten Schultern sah er aus wie ein Wikinger. Er lachte gern und oft, konnte zuhören, war in praktisch allen Sportarten von Bowling bis Bandy ein Ass und machte sich gut in möblierten Zimmern.
Konferenzen wie diese in Nairobi waren seine ultimativen Jagdgründe. Dass er für die Regierung arbeitete, verringerte seine Chancen auch nicht gerade.
Da der Frontex-Auftrag nicht besonders sexy war, pflegte er stattdessen zu sagen, dass er mit der Erarbeitung von Analysen zur internationalen Sicherheit befasst war. Was ja in gewisser Weise auch stimmte.
Sie zwang sich, Ellens Bett nicht zu machen, ging zurück ins Wohnzimmer zu ihrem Laptop und googelte Frontex. In Wirklichkeit interessierte sie Thomas’ neuer Auftrag nicht im Geringsten. Es hatte ihr gereicht zu wissen, dass er mehrmals im Jahr an internationalen Konferenzen teilnehmen würde. Über die Organisation als solche wusste sie sehr wenig.
Einer der
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