Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
kleinen Turban, ein kurzärmeliges Hemd, weite Hosen und robuste Schuhe.
Seine Stimme war hell wie die eines kleinen Kindes.
»You no like?« , fragte er.
Der Franzose (ich hatte aufgehört, ihn mit Namen zu nennen, ich entpersonifizierte ihn, ging auf Distanz) antwortete, dass ihm – c’est vrai – die Situation nicht gefalle.
Der Kurze rief den Bewachern etwas zu, das wir nicht verstanden. Als er sich umdrehte, sah ich, dass auf seinem Rücken an einer Schnur ein Messer hing, das gut einen halben Meter lang war und gebogen wie ein Säbel: eine Machete.
Die Angst, die sich wie ein Stein in meinem Magen zur Ruhe gelegt hatte, explodierte mit einer Macht, die mir unerklärlich war. Alle Bewacher waren bewaffnet, das lange Messer beunruhigte mich nicht so sehr. Es war etwas anderes an dem untersetzten Mann, etwas in seinen Bewegungen oder der schneidenden Stimme. Das musste Kiongozi Ujumla sein, der Anführer.
Zwei der Bewacher kamen in die Hütte, es war dunkel und eng, und sie traten auf uns, sie gingen zu dem Franzosen, packten ihn an den Füßen und unter den Achseln und trugen ihn zur Tür; die Deutsche schrie, als der Lange ihr mit dem Fuß auf den Bauch trat und in ihrem weichen Fleisch beinahe die Balance verlor; sie trugen den Franzosen hinaus, und zum ersten Mal war die Sicht nach draußen völlig frei, frische Luft wirbelte herein, und ich sog Sauerstoff und Erde in die Lungen, blinzelte ins Licht, der Himmel war rot und gelb und ockerfarben. Es war unglaublich schön.
Sie stellten den Franzosen direkt vor der Tür auf die Erde, seine Füße verschwanden sofort im Staub. Die Türöffnung war so niedrig, dass wir nur seinen Körper bis zu den Schultern sehen konnten, obwohl wir auf dem Boden lagen. Der Kurze stellte sich vor den Franzosen.
»No like?« , fragte er wieder.
Der Franzose zitterte, vor Angst oder vor Anstrengung, sich aufrecht zu halten, nachdem er so lange gelegen hatte. Seine Füße und Hände waren immer noch mit Kabelbindern gefesselt. Er schwankte bedenklich.
»Das hier ist ein Verbrechen gegen das Völkerrecht«, sagte er wieder mit bebender Stimme. »Was ihr macht, verstößt gegen internationale Regeln und Verordnungen.«
Der General stellte sich breitbeinig hin und verschränkte die Arme vor der Brust.
»You say?«
Catherine, die links neben mir lag, rückte dichter an mich heran.
»Ich bin französischer EU -Parlamentarier«, sagte der Franzose, »und ich verlange, dass ihr mich sofort losbindet und mich aus dieser Situation befreit.«
» EU ? Work for EU ?«
Der kleingewachsene Mann verzog das Gesicht zu einem breiten, starren Grinsen.
»You hear?« , sagte er zu uns gewandt. »Work for EU !«
Mit einer angesichts seiner Körperfülle erstaunlichen Geschmeidigkeit griff der kleine Mann nach hinten, zog die Machete, schwang sie in weit ausholendem Bogen über seinem Kopf und traf den Franzosen in der linken Leistenbeuge.
Catherine schrie auf und verbarg das Gesicht an meiner Schulter, und ich wünschte, ich hätte selbst so viel Verstand gehabt, mein Gesicht an einer Schulter zu verbergen, egal an welcher, aber ich tat es nicht. Ich sah mit weit aufgerissenen Augen, dass der Franzose wie eine gefällte Kiefer zu Boden stürzte. Er stieß einen Laut aus, und alle Luft schien aus ihm zu entweichen, ein zischendes Geräusch, wie ich es noch nie im Leben gehört hatte.
Und rasch, als zöge jemand einen Vorhang zu, wurde es dunkel.
*
Annika stand am Wohnzimmerfenster und starrte in den Betonhimmel. Sie war innerlich vollkommen leer, nur eine Hülle, auf der Suche nach so etwas wie Realität. Ein Teil von ihr glaubte immer noch, dass die ganze Sache nur ein schreckliches Missverständnis war, ein Irrtum in der Kommunikation dort unten in Afrika. Sicher rief Thomas bald verärgert auf ihrem Handy an, weil der Flieger nicht pünktlich gestartet war. Ein anderer Teil von ihr machte sich Sorgen über Nebensächlichkeiten. Dass sie wieder mit Jimmy Halenius allein sein würde. Was sie Thomas’ Mutter sagen sollte. Wer den Artikel über die tote Frau in Axelsberg schreiben würde.
Jimmy Halenius war unterwegs zu ihr. Vielleicht hatte das nervöse Gefühl im Bauch mit der Situation zu tun, als sie vor ein paar Jahren zusammen vor dem Restaurant Järnet gestanden hatten. Damals war sie mit dem Staatssekretär essen gewesen, um ihm bestimmte Informationen zu entlocken. Als sie aus dem Restaurant kamen, war eine Gruppe angeheiterter Halbstarker vorbeigezogen und hatte
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