Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
sie. »Eine politische Entführung. Sie haben gesagt, die sind schlimmer.«
»Es ist politisch«, sagte Halenius, »aber es könnte eine andere Wendung nehmen. Die zweite Nachricht kam per Telefon, zu Hause bei Alvaro Ribeiro. Sein Lebensgefährte war am Apparat, und in ostafrikanischem Englisch wurde ihm kurz und bestimmt mitgeteilt, dass Alvaro entführt worden sei und man ihn gegen ein Lösegeld von vierzig Millionen Dollar freilassen würde.«
Annika schnappte nach Luft.
»Vierzig Millionen Dollar, das sind … wie viel? In Kronen? Eine Viertelmilliarde?«
»Knapp.«
Ihre Hände begannen wieder zu zittern, Alien Hand Syndrome die ganze Zeit.
»O mein Gott, o nein …«
»Annika«, sagte Halenius, »nicht aufregen.«
»Eine Viertel milliarde ?«
»Es sieht so aus, als würden bei dieser Entführung verschiedenen Forderungen gestellt«, fuhr Halenius fort. »Einmal haben wir das politische Motiv, darauf lässt das Video schließen, und zum anderen die Lösegeldforderung, die auf eine gewöhnliche kidnap for ransom hindeutet. Sie haben recht, Letzteres ist vorzuziehen.«
»Aber eine Viertelmilliarde? Wer hat so viel Geld? Ich jedenfalls nicht …«
Kidnap for ransom?
Die Worte ließen irgendetwas bei ihr anklingen, aber was nur, was nur?
Sie presste sich die zitternde Handfläche an die Stirn und kramte in ihrem Gedächtnis.
Ein Artikel, den sie geschrieben hatte, eine Versicherungsgesellschaft, die sie während ihres ersten Jahrs als Korrespondentin besucht hatte, in Upstate New York, sie war spezialisiert auf K&R Insurances: Kidnap and Ransom Insurances …
»Eine Versicherung«, schrie sie ins Telefon. »Das Ministerium hat natürlich eine Versicherung! Eine Versicherung, die das Lösegeld bezahlt, und dann ist der Fall gegessen!«
Sie lachte beinahe vor Erleichterung.
»Nein«, widersprach Halenius. »So etwas hat die schwedische Regierung nicht. Das ist eine Grundsatzentscheidung.«
Das Lachen blieb ihr im Hals stecken.
»Versicherungen dieser Art sind kurzsichtige und gefährliche Lösungen. Sie erhöhen das Risiko und treiben die Lösegeldsummen in die Höhe. Außerdem verhandelt die schwedische Regierung nicht mit Terroristen.«
Sie spürte, wie sich der Boden unter ihren Füßen auftat. Ihre Hände ruderten durch die Luft, sie klammerte sich am Türrahmen fest.
»Aber«, sagte sie, »und ich? Was soll ich tun? Was passiert jetzt? Rufen die mich auch an, unter dieser Nummer?«
»Das wäre eine wünschenswerte Ausgangslage.«
Sie fühlte Panik aufsteigen, ihr Atem wurde schneller, und vor ihren Augen verschwamm alles. Von fern hörte sie die Stimme des Staatssekretärs.
»Annika, wir müssen über Ihre Situation reden. Ich weiß, Sie möchten nicht, dass ich zu Ihnen nach Hause komme, aber ich glaube, es wäre im Moment die einfachste Lösung für Sie.«
Sie nannte ihm den Haustürcode.
*
Der Franzose hatte wieder begonnen, sich zu beschweren. Er rief unaufhörlich nach unseren Bewachern und befahl Catherine, ins Swahili zu übersetzen, was sie mit gedämpfter Stimme und gesenkten Augen tat. Jetzt beklagte er sich nicht mehr nur über die Kopfwunde, sondern auch über unsere sanitären Bedingungen. Seit unserer Entführung vor mehr als zwei Tagen hatte keiner von uns auf die Toilette gehen dürfen. Urin und Kot zerfraßen unsere Haut und machten unsere Kleidung steif.
Die Deutsche weinte.
Ich merkte, wie unter den Bewachern Verärgerung und Unsicherheit wuchsen. Jedes Mal, wenn sie die Holztür der Hütte öffneten, waren sie nervöser, sie erklärten schnell und ärgerlich, dass sie keine Erlaubnis hätten, uns rauszulassen. Wir waren gezwungen, auf Kiongozi Ujumla zu warten, General Anführer; ob es sich dabei um eine oder zwei Personen handelte, wussten wir nicht, aber nur die (oder der) hatten das Recht, über die Gefangenen zu entscheiden, sagten sie. (Die Gefangenen, das waren wir. Wafungwa .)
Als ich den Dieselmotor vor der Hütte hörte, war ich wirklich erleichtert. Der Franzose verstummte und horchte, so wie alle anderen. Wir hörten draußen Stimmengemurmel.
Die Sonne war schon fast untergegangen. In der Hütte war es nahezu dunkel. Es schien sehr viel Zeit zu vergehen, bis sich endlich wieder die Tür öffnete.
»Das hier ist vollkommen inakzeptabel!«, rief der Franzose. »Ihr behandelt uns wie Tiere! Habt ihr keinen Anstand im Leib?«
Die schwarze Silhouette eines kleingewachsenen, untersetzten Mannes füllte die Türöffnung. Er trug einen
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