Annika Bengtzon 09: Weißer Tod
die beiden hier allein zu lassen«, sagte sie und versuchte ein Lächeln in Richtung Wohnzimmer. »Ich will wissen, was sie aushecken.«
»Wir sind in ein paar Stunden wieder da«, sagte Berit. »Sind das eure Bobs, die da im Treppenhaus stehen?«
»Der blaue gehört mir!«, rief Ellen.
In ihren schweren Schuhen verschwanden sie vergnügt nach draußen.
Durch das Rauschen und Blubbern des Wasserkochers hörte Annika Schyman und Halenius mit gedämpften, aber gleichzeitig deutlichen Stimmen reden, wie mächtige Männer es tun, wenn sie zeigen wollen, dass sie entspannt, aber dennoch konzentriert sind.
»… natürlich ein großes Interesse von den anderen Medien«, sagte Schyman – gelassen und zufrieden.
Sie öffnete die Kühlschranktür und starrte in die feuchte Kälte, ohne den Inhalt wahrzunehmen.
»… und in Nigeria werden die Chefs der ausländischen Ölkonzerne White Gold oder einfach nur ATM , also Geldautomat, genannt«, sagte Halenius – sicher und informiert.
Sie holte Sahne und Milch und Leberwurst aus dem Kühlschrank, dann stellte sie die Leberwurst und die Milch wieder zurück.
»… wir wollen doch wissen, was wir erwarten können, welche Szenarien am wahrscheinlichsten sind«, sagte Schyman – wichtig.
Sie schaltete den elektrischen Mixer an und schlug die Sahne, obwohl es noch einen Rest vom Vortag gab. Die Stimmen ertranken im Krach des Rührgeräts. Sie schloss die Augen und öffnete sie erst wieder, als die Sahne schon beinahe zu Butter geworden war. Himbeeren gab es ja keine mehr, aber sie wärmte ein bisschen Kompott auf, das sie anschließend in eine Schüssel füllte. Den Pulverkaffee rührte sie gleich in den drei Bechern an, holte ein Tablett und stellte drei Teller und die Kaffeebecher darauf, dazu Kaffeelöffel, Milch, Zucker, Kompott, Sahne, einen Tortenheber und drei Gabeln für den längst nicht mehr so saftigen Schokoladenkuchen. Die Kuchenplatte passte nur noch mit Mühe und Not auf das Tablett und kippelte gefährlich nah am Rand. Einen Augenblick blieb sie im Flur stehen.
»Wie sind die Chancen?«, fragte Schyman hinter der Wand.
»Die Prognose ist gut. Neun von zehn Entführungsopfern überleben, obwohl es Anzeichen dafür gibt, dass die Zahl der Todesopfer steigt.«
Jeder Zehnte schafft es also nicht, dachte Annika und hielt das Tablett fest umklammert.
»Und die kommen in manierlichem Zustand wieder?«
Manierlichem Zustand?!
»Weitere zwanzig Prozent der Opfer erleiden schwere physische Schäden …«
Halenius verstummte, als sie das Wohnzimmer betrat.
»Ah«, sagte er. »Dieser Kuchen ist lebensgefährlich.«
Sie stellte das Tablett auf dem Couchtisch ab und setzte sich, ohne weitere Umstände zu machen, in die hinterste Ecke des Sofas.
»Bedienen Sie sich«, sagte sie.
Schyman und Halenius langten zu. Allein der Gedanke an Süßes verursachte ihr Übelkeit, aber sie griff nach ihrem dunkelblauen Kaffeebecher mit dem Goldaufdruck »The White House«. Er stammte nicht aus dem Weißen Haus, sondern von einem Souvenirstand davor und war so echt wie ein chinesischer Volvo.
»Wir haben gerade allgemeine Entführungsfragen besprochen«, sagte Halenius und stopfte sich Sahne und Kompott in den Mund. »Interessiert es Sie?«
Als ob Worte einen Unterschied machten. Als ob die Situation noch schlimmer würde, wenn man sie genauer benannte.
Sie machte sich in ihrer Sofaecke klein. Halenius schluckte schließlich.
»Gewaltanwendung ist üblich«, sagte er dann, ohne Annika anzusehen, »obwohl natürlich keiner sagen kann, was in diesem speziellen Fall passiert.«
»Welche Szenarien halten Sie für möglich?«, fragte Schyman.
Es klingelte an der Wohnungstür. Hastig stand sie auf.
»Vielleicht Kollegen von anderen Medien«, sagte sie.
Zunächst erkannte sie keinen der Männer im Treppenhaus. Stumm und grau standen sie in ihren grauen Mänteln vor ihr und sahen sie mit Hundeaugen an.
Sie schloss die Tür ohne ein Wort, ging zurück ins Wohnzimmer und spürte, dass ihr Gehirn kochte.
»Was soll das?«, fragte sie. »Bin ich jetzt eine Außenstelle von Rosenbad geworden?«
Halenius erhob sich fragend.
»Da draußen steht das Doppelte Hänschen«, sagte Annika und zeigte auf die Wohnungstür. »Aber jetzt reicht es. Sagen Sie ihnen, dass sie verschwinden sollen.«
»Vielleicht wollten sie …«
»Sagen Sie ihnen, sie sollen eine Mail schicken«, erwiderte sie und ging ins Bad.
Sie hörte, wie Halenius im Treppenhaus kurz mit den
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