Anonym - Briefe der Lust
übergelaufen. Keiner von uns sagte etwas, während sie in Pauls Bad verschwand und energisch die Tür hinter sich schloss.
Er wandte sich um und starrte mich an. „Paige.“
„Lassen Sie mich etwas klären, Paul. Das hier ist nicht mal ein Einstellungsgespräch für eine neue Stellung. Ich führe hier ein Vorgespräch für ein Einstellungsgespräch für einen Job, für den ich in die Vorauswahl gekommen bin, richtig?“ Ich beugte mich vor und fing seinen Blick mit meinem ein.
Paul zögerte, bevor er nickte. „Ja.“
Mit geradem Rücken und vorgeschobenem Kinn lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück und schlug erneut die Beine übereinander. Aus dem Bad hörte ich das Geräusch von laufendem Wasser. Ich bemühte mich um einen neutralen Gesichtsausdruck, obwohl ich keinen Zweifel hatte, dass Paul meine Stimmung trotz meiner ausdruckslosen Stimme genau erkannt hatte.
„Dann habe ich ein Recht, zu erfahren, warum ich ausgesucht wurde und aus welchen Gründen ich den Job in Erwägung ziehen sollte“, erklärte ich ihm. „Sie können nicht von mir erwarten, dass ich vor Freude auf und ab hüpfe, weil jemand mir anbietet, mich von all dem hier wegzuholen.“
Paul öffnete den Mund, aber bevor er etwas sagen konnte, fügte ich hinzu: „Zufälligerweise gefällt mir der Job, den ich habe, Paul. Sehr.“
„Darüber bin ich froh“, sagte er ruhig, und bevor er noch etwas hinzufügen konnte, kam Vivian aus dem Bad zurück.
Ich war hocherfreut, als ich sah, dass sie sich Wasser auf den Rock und ihre Seidenbluse gespritzt hatte. Sie war sich auch mit der feuchten Hand durch ihr kurz geschnittenes Haar gefahren, um es in Form zu bringen, und ich konnte sehen, dass ihr Augen-Make-up an den Rändern ein bisschen über die Wangen gelaufen war. Sie wusste nicht, dass ich den Mann nicht wollte, der nicht einmal ihrer war. Die Tatsache, dass sie sich Sorgen machte, ich könnte ihn wollen, regelte jedoch die Machtverhältnisse zwischen uns, und ich hatte die Oberhand. Das wussten wir beide.
„Es wäre hilfreich, wenn Sie mir den Job beschrieben“, schlug ich ihr vor. „Und wir könnten den Zeitpunkt für ein Einstellungsgespräch vereinbaren.“
Das Gespräch lief nun anders herum, und das gefiel Vivian nicht, aber es wäre schwierig für sie gewesen, auf eine Art zu reagieren, die sie nicht als Zicke dastehen ließ oder, schlimmer noch, als dumm. Wir bekriegten uns, indem wir beide die Lippen zu einem falschen Lächeln verzogen, und Paul war der Siegerpreis in diesem Krieg. Ich stand auf und blickte auf Vivian und Paul hinunter.
„Ich gehe jetzt wieder an die Arbeit, Paul.“
Er nickte. Ich ging. Hinter mir hörte ich Vivian erleichtert ausatmen und anschließend das Gemurmel ihrer Diskussion, aber ich hätte nicht sagen können, ob sie beide über mich herzogen oder ob er mich verteidigte. Es war mir auch ziemlich egal.
Vivian Darcy konnte mich nicht mehr einschüchtern.
27. KAPITEL
Mein Herz ließ mehrere Schläge aus, als ich die Nachricht in meinem Briefkasten sah, aber ich musste die Unterschrift nicht lesen, um zu wissen, dass sie nicht von Erics erster anonymer Gebieterin war. Ohne eine Ahnung zu haben, wer sie war, wusste ich, dass sie einen Brief nur auf dem feinsten Papier schreiben würde, und das hier war ein Stück blauliniertes Ringbuchpapier, von denen man zu Schuljahresbeginn für einen Dollar ein Dreierpack kaufen kann. Dennoch schnüffelte ich verstohlen daran und nahm einen Hauch von Rasierwasser unter dem Geruch von billiger Tinte wahr.
Eric hatte die typische Krakelschrift eines Arztes. Ich hoffe, Du magst die Blumen. Seine Unterschrift war nahezu unleserlich, bis auf das E vorne. Ich faltete den Zettel und steckte ihn in meine Tasche, dann eilte ich hinauf in mein Apartment, wo ich ihn wieder glattstrich und auf den Küchentisch legte, sodass er mich von dort anstarren konnte, während ich mein Abendessen zubereitete.
Ich hatte nur wenige Möglichkeiten. Entweder konnte ich die Nachricht ignorieren, und ebenso die Blumen, die ich mit nach Hause gebracht und endlich ins Wasser gestellt hatte. Oder ich konnte ihm eine SMS oder einen handschriftlichen Brief schicken, in dem ich ihm befahl, mir nachzulaufen … oder mich nicht zu beachten. Während ich meine schlichte Mahlzeit aus Pasta mit Olivenöl und Knoblauch und dazu einen gemischten Salat zubereitete, behielt ich die Nachricht und die Blumen im Blick, und nachdem ich gegessen und das Geschirr abgewaschen hatte, schien es nur noch
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