Anonym - Briefe der Lust
nichts, und nach ein paar Augenblicken angespannten Schweigens räusperte sich meine Mom.
„Ich muss am Sonntag um acht Uhr morgens aus dem Haus. Sei bitte rechtzeitig vorher da.“
Ich unterdrückte ein Stöhnen und zog in Erwägung, schon die Nacht vorher dort zu verbringen. Was würde schlimmer sein, ein Samstagabend im Haus meiner Mom in Lebanon oder praktisch mitten in der Nacht aufstehen zu müssen? „Gut. Ich werde da sein.“
„Vielen Dank“, sagte sie steif und klang dabei kein bisschen wie meine Mom. „Arty wird vor Freude aus dem Häuschen sein.“
Das war das einzig Gute an der Sache. Dass mein kleiner Bruder sich freuen würde, mich zu sehen. Ich vermisste Lebanon nicht oder das Leben bei meiner Mom, aber es fehlte mir, dass ich nicht nahe genug bei ihnen wohnte, um sie öfter sehen zu können. Ich hatte sehr oft auf Arty aufgepasst, als er noch ganz klein gewesen war. Er war ebenso sehr mein Kind, wie er mein Bruder war.
„Dann sehen wir uns also.“ Es gelang mir nicht ganz, glücklich zu klingen.
„Ich liebe dich, Süße“, sagte meine Mom, und da ich nun einmal ein Biest war, legte ich auf, ohne zu antworten.
Austin rief mich nicht an, und eher würde die Hölle gefrieren, als dass ich ihn anriefe. Eric meldete sich ebenfalls nicht, und diese Tatsache gefiel mir weit weniger. Ich kannte den Grund – ich war nach meinem willigen und gar nicht so strengen Angebot, uns zu treffen, nicht mehr so interessant für ihn. Es wäre lustig gewesen, wenn es mich nicht irgendwie traurig gemacht hätte.
Offensichtlich war das, was auch immer wir miteinander hatten oder fast hatten, nicht genau das, was er suchte. Ich konnte nicht aufhören, mich zu fragen, ob ich ihm das, was er wollte, rund um die Uhr geben konnte. Und würde er es von mir haben wollen?
Vor allem aber ging es darum, ob ich im wahren Leben die Frau sein wollte, die ich in jenen Briefen erschaffen hatte.
Ich nahm meinen Füller und griff nach einem Bogen von dem weichen, duftenden, besonderen Papier. Es waren nur noch ein paar Blätter übrig. Vielleicht würde ich mehr davon brauchen.
Meine Mom hatte gesagt, sie würde am Freitag zurück sein, heute in einer Woche. Ich hatte Erics Dienstplan für den ganzen Monat. Er arbeitete an jenem Freitag und auch an dem darauffolgenden Samstag. Dann also am Sonntag. Noch etwas mehr als eine Woche. Das würde mir viel Zeit zur Vorbereitung geben.
Du wirst für Sonntagabend ein Zimmer im Harrisburg Hilton reservieren. Wenn Du dort ankommst, wirst Du an der Rezeption die Anweisung hinterlassen, mir den zweiten Schlüssel zu übergeben. Ich werde den Namen Rose Thorn benutzen. Spätestens um fünfzehn Uhr dreißig bist Du im Zimmer und für mich bereit. Du wirst eine Flasche mit Deinem Lieblingsgleitmittel, eine Schachtel Kondome und eine Kopie Deines tadellosen Gesundheitszeugnisses bereithalten. Wenn Du im Zimmer bist, wirst Du als Erstes duschen, Dich rasieren und Deine Haut mithilfe einer Lotion weich und glatt pflegen. Ich will, dass Du vollkommen sauber bist und nach Lavendel und Minze duftest. Während Du auf mich wartest, wirst Du nichts außer dem Armband tragen, das ich Dir geschenkt habe. Knie Dich aufs Bett. Wenn ich ins Zimmer komme, darfst Du mich ansprechen und Deiner Freude über meine Anwesenheit Ausdruck verleihen, indem Du vor meinen Füßen niederkniest.
Das klang nicht ganz so, wie es eigentlich klingen sollte. Meinen Worten fehlte ein bestimmter Rhythmus und der delikate Ton, aber sie waren alles, was ich hatte. Eric kokettierte gern mit den sichtbaren Zeichen seiner Unterwerfung, und er würde sich zum Teil dem Mitarbeiter an der Rezeption offenbaren müssen, dem er meinen Namen nennen sollte. Aber er würde damit auch mich outen, und ich war mir nicht sicher, wie ich mich fühlen würde, wenn ich mich einem vollkommen Fremden gegenüber als Gebieterin eines Mannes präsentierte. Doch ich nahm an, es war an der Zeit, herauszufinden, ob ich diese Rolle auch im wahren Leben spielen konnte.
„Hast du vor, dich um den Job zu bewerben?“ Brenda überfiel mich ohne jede Vorwarnung, was nicht sonderlich schwierig war, weil ich tief in schwindelerregende tiefrote Gedanken versunken war, in denen sich alles ums Ficken und Lecken drehte. Ich nahm an, das war nicht der Job, den sie meinte.
„Ich glaube nicht.“ Wenn man nicht weiß, worum es genau geht, ist es am besten, alles abzustreiten. Ich brauchte eine Minute, um herauszufinden, wovon sie sprach, aber als sie einen
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