Anonym - Briefe der Lust
und weigerte mich, noch länger zu weinen.
31. KAPITEL
„Paige, ich brauche dich nächste Woche. Du musst kommen und auf Arty aufpassen, weil ich für ein paar Tage verreisen muss.“ Dieses eine Mal begann meine Mom das Gespräch ohne irgendeine Einleitung.
Ich machte mir keine Gedanken darüber, warum sie mich fragte, registrierte nur, dass ich sie fragte: „Soll ich bei euch im Haus schlafen?“
„Ja.“ Sie klang müde und gereizt. „Du musst morgens hier sein, um ihn in den Schulbus zu setzen. Nach dem Unterricht ist er bei der Nachmittagsbetreuung, bis du nach der Arbeit wieder hier sein kannst.“
„Um welche Uhrzeit kommt morgens der Bus?“ Ich war bereits dabei, mir Entschuldigungen auszudenken, um nicht im Haus meiner Mutter wohnen zu müssen.
„Um acht. Du hast dann noch jede Menge Zeit, um zur Arbeit zu fahren. Und es sind nur fünf Tage, Paige. Von Sonntag bis Donnerstag. Ich sollte eigentlich … Ich bin am Freitag wieder da.“
Dass sie so selbstverständlich voraussetzte, ich würde mein eigenes Leben einfach anhalten, um ihr zu helfen, wurmte mich. Ich war nach meinem Streit mit Austin – falls man es einen Streit nennen konnte, was ich aber tat – ohnehin schon schlecht gelaunt. Ich hatte andere Dinge im Kopf, zum Beispiel dass ich Eric treffen würde, dass ich vorhatte, ihm die Wahrheit über mich und seine unbekannte Sie zu erzählen, und was dann geschehen würde.
„Wo willst du hin?“, erkundigte ich mich. „Schließlich kann ich von heute auf morgen nicht gerade alles stehen und liegen lassen, Mom.“
„Ich fahre für ein paar Tage weg. In ein Spa“, erklärte sie in widerspenstigem Ton. „Ich brauche ein bisschen Zeit für mich.“
Ich presste die Lippen aufeinander und schaltete die Herdplatte unter dem Topf mit aufgewärmten Spaghetti aus. „Und das hättest du mir nicht früher sagen können?“
„Es war ein Last-Minute-Angebot. Streite nicht mit mir über diese Sache, Paige.“
Ihr Ton – es war der, den sie mir gegenüber oft benutzt hatte, als ich noch ein Kind gewesen war – ließ mich noch mehr mit den Zähnen knirschen. Ich klatschte die Pasta auf einen Teller und knallte ihn auf den Tisch, setzte mich aber nicht zum Essen hin. „Was, wenn ich nicht kommen kann?“
„Du musst kommen.“ Die Stimme meiner Mutter brach. „Ich habe sonst niemanden, der ihn nehmen könnte, und er liebt dich. Du bist seine Schwester. Ich brauche dich.“
Das Zittern in ihrer Stimme ließ meine Wut verrauchen. „Geht es bei dieser Sache um Leo?“
„Wie kommst du darauf?“
„Weil du fünf Jahre mit ihm zusammengelebt hast, Mom, und du hast dich gerade von ihm getrennt. Du warst ziemlich erschüttert.“
„Ich bin erschüttert. Sehr erschüttert.“ Sie stockte. „Ja, es geht um Leo. Er … er fährt mit mir weg. Um zu versuchen, die Dinge zu klären. Es ist Last-Minute, weil er ganz plötzlich frei bekommen hat und dieses Hotel noch ein freies Zimmer hatte. Also fahren wir. Ich weiß, dass es sehr kurzfristig ist, Paige, aber ich habe sonst niemanden, den ich fragen kann.“
Ich war immer noch nicht glücklich, aber ich war die Letzte, die irgendjemanden daran hindern sollte, eine Beziehung zu kitten. Meiner Mom zu helfen würde in gewisser Weise meine mangelnden Bemühungen mit Austin ausgleichen. Oder auch nicht. Ich seufzte und zog meinen Taschenkalender aus der Handtasche. „Welche Tage waren das noch mal?“
Sie sagte es mir. „Du könntest zum Wochenende kommen. Am Freitagabend. Wir könnten ein paar Tage zusammen verbringen, bevor ich fahre.“
„Übertreib es nicht“, warnte ich sie. „Es gibt Dinge, um die ich mich hier kümmern muss, Mom. Ich kann nicht mal kurz rüberhüpfen, ein bisschen mit euch herumhängen und in zehn Minuten wieder zu Hause sein.“
„Denkst du, das weiß ich nicht?“
Mist, jetzt weinte sie. Was hatte ich nur an mir, dass ich alle Leute um mich herum zum Weinen brachte? „Mom. Beruhige dich.“
„Ich vermisse dich, Paige! Es tut mir so leid! Es tut mir leid, dass ich kein großes, schönes Haus habe wie dein Dad“, sagte sie in gemeinerem Ton, als ich ihn jemals von ihr gehört hatte. „Es tut mir leid, dass wir nicht deinen Standards entsprechen. Aber das ist nun einmal alles, was wir zu bieten haben, und so furchtbar schlecht ist es dir in dieser Umgebung nicht ergangen, oder?“
Ich hätte vielleicht zurückgeschrien, doch ich war der Streitereien müde. Mit Austin und mit ihr. Mit mir selber. Also sagte ich
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