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Anonym - Briefe der Lust

Anonym - Briefe der Lust

Titel: Anonym - Briefe der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Hart
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zu klären. Okay?“
    Was auch immer das hier zu bedeuten hatte, es war nicht normal, aber es fühlte sich nicht seltsam an. Er bebte kurz, als würde das Zucken seiner Finger durch seinen ganzen Körper laufen, dann erstarrte er. Ich sah in seinen Augen, welche Mühe es ihn kostete, sein Zittern zu unterdrücken.
    Seit der ersten Woche, in der ich für ihn gearbeitet hatte, wusste ich, dass Paul mehr Aufmerksamkeit brauchte als jeder andere Chef, den ich vorher gehabt hatte. Man hatte mich gewarnt, aber aus anderen Gründen, und wir waren immer mehr als gut miteinander ausgekommen, nämlich ganz hervorragend. Wir verstanden uns großartig. Ich wusste nicht, was in diesem Moment mit ihm los war, aber das spielte eigentlich auch keine Rolle. Ich musste mich um ihn kümmern.
    „Möchten Sie, dass ich Ihre Frau anrufe?“
    Er blinzelte und seufzte. Seine Schultern sackten nach vorn. „Paige, ich bin einfach nur so… so überfordert.“
    Als ich an ihm vorbei auf den Monitor blickte, sah ich, dass einige Fenster geöffnet waren. Ich stand auf, streckte die Hand aus und schloss eines nach dem anderen mit einem Klick. Schließlich war nur noch der schlichte blaue Hintergrund mit den Icons seines Desktops da. Paul rührte sich nicht, bis ich mich wieder zurückzog und gegen seinen Schreibtisch lehnte. Dann drehte er seinen Stuhl von mir weg.
    Im Profil sah er älter aus als eben noch von vorn. Er war ein Mann, dessen Alter sich in den Furchen seines Gesichts, seiner gerunzelten Stirn und seinem schweren Seufzen zeigte.
    „Ich brauche einfach nur ein paar Minuten“, erklärte er mit leiser Stimme.
    „Wie lange geht das schon so?“
    Er sah mich an und rang sich ein Lächeln ab. „Schon sehr lange. Mein ganzes Leben lang.“
    „Nehmen Sie Medikamente dagegen?“ Ich stellte ihm die Frage mit sanfter Stimme, und falls er das als aufdringlich empfand, ließ er es sich nicht anmerken.
    „Ja.“
    „Wirken sie nicht?“
    Paul seufzte und lächelte ein wenig breiter. „Heute nicht, fürchte ich.“
    „Kann ich Ihnen helfen?“, erkundigte ich mich, ohne ihn anzufassen, dabei hätte ich ihm gern über die Haare gestrichen und meine Hand an seine Wange gelegt. So wie meine Mutter mich berührt hatte, wenn ich durcheinander gewesen war.
    „Sie ahnen gar nicht, wie sehr Sie mir schon geholfen haben.“ Paul nahm einen langen, tiefen Atemzug und straffte seine Schultern. „Sie einfach nur hier zu haben, war eine solche … Freude, Paige.“
    Ich lächelte über sein Zögern. „Oh. Oha.“
    Er zerwühlte sich die Haare, und durch diese schlichte Handlung schien ein Teil seiner Anspannung von ihm abzufallen. Wieder atmete er langsam ein und ließ anschließend die Luft aus seinen Lungen strömen. Er schaute mich mit einem leeren Blick an. „Manchmal reicht es aus, um mich in der Spur zu halten, wenn ich einfach nur weiß, dass Sie dort draußen mit meinem Kaffee sind. Sie haben sich nie über mich aufgeregt, Paige. Über nichts, um das ich Sie gebeten habe. Sie haben mir nie das Gefühl gegeben, dass ich ein Tyrann bin, weil ich die Angelegenheiten auf eine bestimmte Art regeln muss.“
    „Natürlich nicht.“
    Er zog eine seiner Brauen andeutungsweise hoch. „Andere schon.“
    „Ich weiß.“
    Wir schwiegen einträchtig.
    „Sie kennen mich wirklich, Paige“, stellte er schließlich fest. „Ich werde es sehr bedauern, wenn Sie gehen.“
    Dieses Mal streckte ich die Hand nach ihm aus, wenn auch nur, um sanft an seiner Krawatte zu ziehen. „Ich gehe nirgendwohin.“
    Ein leises Husten ließ uns hochschrecken, und wir sahen beide zur Tür. Ich löste meine Finger nicht von seiner Krawatte, nicht sofort. Nicht nachdem ich festgestellt hatte, dass es Vivian war, die blonden Haare perfekt gestylt, die Schuhe atemberaubend hoch. Sie runzelte die Stirn. Während ich aufstand, ließ ich Pauls Krawatte langsam aus meiner Hand gleiten.
    „Ich habe die Akten dabei, damit wir sie gemeinsam durchgehen können, Paul.“ Sie kam nicht ins Zimmer.
    „Ich dachte, Sie würden mich vorher anrufen“, erwiderte er.
    Sie und ich schauten ihn beide an. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber ich wusste, dass meine Mundwinkel abgesunken waren. Paul war grundsätzlich nicht fies. Nicht ansatzweise. Für seine Verhältnisse hatte er sie sehr deutlich abgewiesen, und zwar nicht gerade auf freundliche Weise. Ein Lachen stieg in meiner Kehle hoch, aber ich entschied mich für ein Lächeln, das er erwiderte.
    „Ich kann in fünfzehn Minuten

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