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Anonym - Briefe der Lust

Anonym - Briefe der Lust

Titel: Anonym - Briefe der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Hart
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wiederholte sie. „Und du hilfst mir. Du kümmerst dich um Arty. Wo ist Arty?“
    Mir war heiß, als hätte ich Fieber, und die Hand meiner Mom kühlte meine Haut, wie sie es während zahlloser Kinderkrankheiten getan hatte. Nur dass dieses Mal sie die Kranke war und nicht ich. „Er ist zu Hause. Mit Leo.“
    „Oh.“
    Als ich die zaghafte Stimme meiner Mutter hörte, blickte ich auf. „Ihm hast du es gesagt.“
    Nach einem Moment nickte sie. „Ich musste. Er wollte wissen, warum ich nicht mehr mit ihm zusammen sein wollte. Er glaubte mir nicht, als ich sagte, ich hätte einen anderen.“
    „Das hast du nicht getan! Oh, Mom!“ Ich schüttelte den Kopf. „Wie konntest du ihm das antun?“
    Mit überraschend viel Kraft entzog sie mir ihre Hand. „Urteile nicht über mich, Miss Neunmalklug. Du bist nicht unbedingt eine Expertin, wenn es darum geht, eine erfolgreiche Beziehung zu führen, oder etwa?“
    Meine Kinnlade fiel herunter, aber ich schloss sie mit einem Knacken. „Was hat das damit zu tun? Leo liebt dich. Und du liebst ihn.“
    Sie zuckte die Schultern. „Ich wollte aber nicht abwarten und herausfinden, ob er mich immer noch liebt, wenn ich kotze und die Haare verliere. Wenn ich …“ Sie presste ihren Mund zu einem schmalen, festen Strich zusammen. Die Worte, die sie mir eigentlich hatte sagen wollen, würden ihr nicht gegen ihren Willen über die Lippen kommen.
    „Aber du hättest es mir sagen können.“ Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück, und zwischen uns beiden schienen eine Million Meilen zu liegen. „Es sei denn, du dachtest, ich würde dann auch aufhören, dich zu lieben.“
    Aus jedem ihrer Augen rann eine einzelne Träne, und jede zeichnete eine silberne Spur auf ihre Wange. „Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst, Baby, das ist alles. Ich dachte, diese Sache ist etwas, das ich allein durchstehen kann.“
    Wieder flatterten ihre Augenlider und schlossen sich. „Ich bin jetzt müde, Paige. Lass mich schlafen.“
    Zwar war ich noch nicht annähernd fertig, aber selbst ich brachte es jetzt nicht übers Herz, sie weiter zu bedrängen. Ich stand auf und tätschelte die Bettdecke. „Ich werde sehen, ob ich mit einem Arzt sprechen kann. Morgen komme ich wieder, okay?“
    Ihre Worte erreichten mich an der Tür und jagten mir einen Schauer über den Rücken.
    „Pass auf ihn auf.“
    Ich fuhr zusammen, als ich meinte, die Kinder mit leeren Augenhöhlen und blutigen Fingerspitzen zu hören. Hastig wandte ich mich um, aber es war natürlich nur meine Mom in ihrem Bett. Ihre Augen waren geschlossen, doch ihre Lippen bewegten sich.
    „Wenn mir etwas geschieht, musst du dich um Arty kümmern, Paige. Versprich mir das.“
    „Ich verspreche es.“ Das war die einzige Antwort, die möglich war, ganz egal ob ich meinte, dieser Aufgabe gewachsen zu sein oder nicht.
    Sie lächelte. Dann hörte ich ein vertrautes leises Schnarchen und wusste, dass sie eingeschlafen war. Ich verließ das Zimmer und ging ins Schwesternzimmer, wo eine Frau in einem gestärkten Kittel mir erklärte, sie werde Dr. Frank anpiepsen, und er werde zu mir in die Halle kommen, sobald er Zeit habe. Ich folgte ihren Anweisungen und ging den Flur entlang, an dessen Ende ich die Halle fand. Sie war im Stil der frühen amerikanischen Depression eingerichtet, mit abgenutzten Couchen in Schattierungen von beige bis braun und abstrakten Bildern an Wänden in denselben Farbtönen. Es fühlte sich an, als würde ich in eine große Schachtel voll Schokolade gehen, was möglicherweise der Eindruck war, den der Designer hatte erwecken wollen. Schließlich und endlich befanden wir uns in Hershey, der Stadt, in der einer der größten Schokoladenhersteller der Welt seinen Firmensitz hat.
    Ich hockte mich auf den Rand einer Couch, sprang aber sofort wieder auf, als ein Arzt das Zimmer betrat. Dr. Frank war groß, hatte den Kopf voller dunkler wirrer Haare und einen festen Händedruck. „Paige DeMarco?“
    Ich nickte, und er lächelte, während er meine Hand losließ. „Ihre Mutter wird sich wieder erholen. Ihr Blutdruck hat sich stabilisiert, und es ist uns gelungen, die Blutung zu stoppen. Eine Zeitlang stand es allerdings auf Messers Schneide, da will ich Ihnen nichts vormachen. Und sie wird noch etwas länger hier im Krankenhaus bleiben müssen.“
    Ich hatte gedacht, es gehe mir gut, bevor der Fußboden hochklappte und versuchte, mir ins Gesicht zu schlagen, und Dr. Frank mich auf die Couch dirigierte, wo er mir eine Hand auf den

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