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Anonym - Briefe der Lust

Anonym - Briefe der Lust

Titel: Anonym - Briefe der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Hart
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Nacken legte und meinen Kopf zwischen meine Knie drückte. Das tat er mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der tagtäglich mit Ohnmachtsanfällen konfrontiert wird.
    „Atmen Sie durch die Nase ein und durch den Mund aus“, wies er mich an.
    Ich versuchte es, aber meine Hände zitterten, und jeder Atemzug löste in meinen Nasenlöchern ein Pfeifgeräusch aus, das ich höchst peinlich fand. Dennoch funktionierte es, denn nach ungefähr einer Minute hatte ich nicht mehr das Gefühl, im nächsten Moment werde mich ein roter Nebel verschlingen. Ich sah auf.
    „Entschuldigung.“
    Er schüttelte den Kopf. „Das kommt vor. Ihre Mom wird ganz sicher wieder gesund.“
    „Sie hat mir nicht mal gesagt, dass sie ins Krankenhaus geht“, erzählte ich ihm. „Ich hatte keine Ahnung. Ich bin nur ein bisschen … Können Sie mir erklären, was als Nächstes passiert? Ich meine, was ihre Behandlung betrifft.“
    Also setzte er sich neben mich und erläuterte mir den Behandlungsplan meiner Mom, wie lange das alles wahrscheinlich dauern würde, wie sie sich würde verhalten müssen und was ich tun konnte, um ihr zu helfen. Er erzählte mir auch, warum sie sich für eine sofortige Rekonstruktion entschieden hatte und nicht erst die Chemotherapie abwartete, von der ich angenommen hatte, dass sie immer zuerst erfolgte. Er erklärte mir einfach alles, und ich erfuhr mehr über Brustkrebs, als ich jemals hatte wissen wollen, trotzdem verstand ich immer noch nicht alles ganz genau. Es war besonders schrecklich, weil ich bis vor ein paar Stunden noch keine Ahnung gehabt hatte, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Mein Schock musste mir im Gesicht gestanden haben, denn er tätschelte meine Schulter.
    „Im Augenblick gibt es nichts, was Sie für sie tun können. Warum fahren Sie nicht nach Hause und versuchen, etwas zu schlafen.“ Er stockte. „Gibt es jemand, der Sie abholen könnte? Sie sollten jetzt vermutlich nicht fahren.“
    Ich nickte und zog, ohne überhaupt darüber nachzudenken, wen ich anrufen sollte, mein Handy heraus, während er mir noch einmal die Schulter tätschelte. Dann ging er, ohne noch viel zu sagen, aber was gab es auch zu sagen? Meine Mom hatte Brustkrebs, sie war fast gestorben, sie würde wahrscheinlich wieder gesund werden, aber sie benötigte noch weitere Behandlungen. Es gab für mich eine Menge zu verarbeiten, und ich war froh, dass er nicht dageblieben war, um mir beizustehen.
    Ich klappte mein Handy auf und öffnete die Liste mit meinen Kontakten. Meinen Dad wollte ich auf keinen Fall anrufen. Mit Kira war ich noch nicht wirklich wieder versöhnt, und Leo passte auf Arty auf. Wenn ich nach Lebanon zurückfuhr, würde ich morgens jemanden brauchen, der mich hierher zum Krankenhaus brachte, damit ich meinen Wagen holen konnte. Wenn ich mich nach Hause fahren ließ, konnte ich den Bus zur Arbeit nehmen und mein Auto später abholen. Die beiden Namen standen direkt untereinander. Zwei Namen, aber nur einer kam infrage.
    Er war innerhalb kürzester Zeit da. Ich schämte mich nicht einmal, keinen Moment an seinem Kommen gezweifelt zu haben. Es war ganz einfach etwas, von dem ich wusste, ich konnte ihn darum bitten, und er würde mir meine Bitte erfüllen.
    Die Türen zur Halle öffneten sich, und er kam herein. Um mich herum entstand ein luftleerer Raum. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, um zu atmen, aber keines von beidem gelang mir.
    Ich liebte ihn.
    Ich hatte es nicht gewusst oder hatte es mir jedenfalls nicht eingestanden, aber jetzt konnte ich nicht anders, als es zu fühlen. Diese Liebe fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube, aber ich fiel nicht um. Die Welt um mich herum richtete sich wieder auf, doch der Fußboden war eine schaukelnde, sich wellende Fläche, die versuchte, mich abzuwerfen. Ich fiel nicht um, weil er da war, um mich aufzufangen. Sein Duft vertrieb den Geruch von abgestandenem Kaffee, Erschöpfung und schlechten Nachrichten. Ich atmete ein, und er erfüllte mich.
    Austin.

34. KAPITEL
    Als die Idiotin, die ich nun einmal war, sagte ich ihm natürlich nicht, dass ich ihn liebte. Ich ließ mich von ihm nach Hause fahren, und ich nahm ihn mit nach oben, wo er zögernd in der Tür stehen blieb, bis ich ihn an mich zog und die Tür hinter uns schloss. Während mein Mund den seinen fand, seufzte er und legte die Arme so fest um mich, wie ich es gern hatte.
    Es war uns nie peinlich gewesen, auf dem Fußboden, einem Tisch oder der Couch zu vögeln. An eine Wand gelehnt.

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