Anonym - Briefe der Lust
an, seit ich ihren Laden entdeckt hatte, sehnsüchtig herumgeschlichen war. Da war ein Starwalker- Tintenroller in Schwarz und einer in Blau. Da gab es einen Meisterstück-Platinum-Classique- Tintenroller in Schwarz mit Silbermuster. Sie hatte sogar ein Exemplar aus der limitierten Edition der Marlene-Dietrich-Füllfederhalter, die ich im Internet gesehen hatte und von denen ich wusste, dass sie ein Vermögen kosteten.
„Sie müssen wissen, Montblanc bezeichnet sie nicht als Stifte“, erklärte sie im Ton eines Archäologen, der etwas ungeheuer Kostbares aus der Erde holt. Sie sah mich nicht an, während sie den Glasdeckel aufschloss, ihn anhob und ihre Fingerspitzen über den Samt gleiten ließ, mit dem der Schaukasten ausgeschlagen war. „Sie nennen sie Schreibgeräte.“
Ihre Finger legten sich um eines dieser Geräte, einen schlanken schwarzen Stift mit einem sechszackigen Stern auf der Kappe. Sie nahm ihn heraus und legte ihn flach auf ihre Handfläche, wie damals der Juwelier den Diamantring, den Austin mir gekauft hatte. Der Füller auf Miriams Hand war nicht ganz so teuer, wie der Ring gewesen war, der immer noch in meiner Schmuckschatulle lag … aber der Preis war nicht viel niedriger.
Ich hätte zu gern nach ihm gegriffen, aber stattdessen schob ich meine Hände in die Taschen. „Ja, ich weiß. Ich habe mir die Montblanc-Homepage angesehen.“
Jetzt streifte mich ihr kühler, amüsierter Blick. „Das war mir klar. Sie betrachten diese Stifte jedes Mal, wenn Sie herkommen, Paige.“
„Sie sind wunderschön.“
Miriam zog ein kleines, quadratisches Samtstück hervor und legte den Füller – das Schreibgerät – darauf. Dann faltete sie die Hände, legte den Kopf schief und sah mich wieder über die Gläser ihrer Brille hinweg an. „Lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen, meine Liebe. Würde ein plastischer Chirurg eine Gesichtsoperation mit einem rostigen Buttermesser durchführen?“
„Das hoffe ich nicht.“ Ich zog eine Grimasse.
Miriam lächelte nachsichtig. „Würde ein Künstler versuchen, ein Meisterwerk mit einem Tuschkasten aus dem Supermarkt zu malen?“
„Warum nicht, wenn er nichts anderes hat?“
„Was ich Ihnen zu sagen versuche, meine Liebe, ist, dass jemand, der etwas von echter Schönheit schaffen will, das richtige Werkzeug dazu braucht.“ Sie wedelte mit der Hand in Richtung des Montblancs.
Mein Herz flog dem Füller entgegen. „Ich bin keine Künstlerin.“
„Nein?“ Ihre perfekt gezupften Brauen hoben sich gleichzeitig. „Das Papier spricht eine andere Sprache. Wenn Sie behaupten, Sie wollen Ihre Einkaufslisten darauf schreiben, nenne ich Sie eine Lügnerin. Mehr noch, ich würde es Ihnen nicht verkaufen. Es wäre eine Sünde, dieses Papier nicht für etwas ganz Besonderes zu benutzen.“
„Ich habe vor, es für etwas Besonders zu benutzen.“ Während ich das sagte, verzog sich mein Mund automatisch zu einem Lächeln.
„Gut. Und was ist mit dem Instrument? Erzählen Sie mir nicht, Sie wollen einen angekauten Bleistiftstummel ohne Radiergummi benutzen.“
Ich riss meinen Blick von dem Montblanc los und sah sie an. „Ich habe einen schönen Füllfederhalter, den mein Vater mir zu meinem Collegeabschluss geschenkt hat.“
Ich verriet ihr nicht, dass dieser Füller dazu neigte, meine Finger blau zu färben und Tintenflecke auf dem Papier zu verteilen. Miriam schniefte leise. Ihre Fingernägel klopften rhythmisch auf den Tresen, als wollten sie die Sekunden zählen, bevor sie antwortete.
„Es ist kein Montblanc. Nicht einmal ein Cross. Stimmt’s?“
„Nein. Aber es ist das, was ich nun einmal habe.“
Miriam seufzte und schüttelte den Kopf. „Paige, Paige, Paige. Nehmen Sie diesen Füllfederhalter in die Hand und halten Sie ihn fest.“
Das wollte ich nicht – es würde schrecklich schwierig sein, ihn wieder wegzulegen. Aber als Miriam ein Stück cremefarbenes Papier unter dem Tresen hervorzog und es mir zuschob, tat ich, was sie mir gesagt hatte. Wenn man nie zuvor einen wirklich guten Stift in der Hand gehalten hat, weiß man nicht, wie wunderbar gleichmäßig sich das Gewicht auf der Handfläche verteilen kann. Oder wie leicht es durch den herrlichen Griff sein kann, selbst einen langen Text zu schreiben. Mit welcher Leichtigkeit die Tinte aus der Spitze kommt.
Ich schrieb meinen Namen.
„Oh …“, hauchte ich und legte widerwillig den Füller wieder hin. „Er ist toll.“
Ich hatte den Stift sofort wieder weggelegt, damit ich nicht
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